Die Seherin der Kelten
Grabhügel erbaut hatten, ebenfalls an genau diesem Ort hier ihre drei langen Nächte in der Einsamkeit verbracht und dabei exakt auf dem gleichen Platz gesessen hatten.
Vermutlich hatte ein jeder seiner Vorgänger ziemlich genau gewusst, was das war, was die Götter und die Träumer von ihm verlangten. Valerius dagegen saß in völliger Unkenntnis da, erfüllt von der immer stärker werdenden Angst vor seiner eigenen Angst und seinem eigenen Mangel an Wissen. Er hatte so etwas wie eine Unterweisung erwartet und hatte doch keine bekommen, und jetzt gab es für ihn auch keine Möglichkeit mehr, noch darum zu bitten.
Mac Calma hatte ihn hier hineingeschickt, und es war die Erinnerung an mac Calmas Stimme, die die stickige Luft erfüllte. Wenn du geträumt hast, an welche Götter hast du dich da gewandt, an deine oder an meine?
» Ich habe keine Götter.«
Valerius hatte dies zum ersten Mal auf den Koppeln hinter der Träumerkate auf Mona gesagt. Nun sagte er es abermals, mit leiser Stimme, diesmal jedoch an den Hund und die wartende Dunkelheit gewandt, und er wusste nicht, ob die Stille, die ihm entgegenschlug, ein gutes Zeichen war oder ein schlechtes. Auf jeden Fall glaubte er zumindest, dass seine Behauptung zutraf: In Britannien hatte Mithras einmal in einer Höhle zu ihm gesprochen, die Götter der Eceni dagegen hatten sich ihm in Rom durch ihr Handeln offenbart; in den fünf Jahren jedoch, seit er zum ersten Mal einen Fuß auf irischen Boden gesetzt hatte, hatte keiner von ihnen mehr sein Leben berührt. Valerius hatte also auch keinen Grund zu der Annahme, dass sie es ausgerechnet jetzt wieder tun würden. Zwar hatte er den Augenblick, in dem seine Verbindung zu den Göttern endgültig abgerissen war, nicht bewusst wahrgenommen, aber er hatte ihn für einen guten, befreienden Moment gehalten: In ihrer Abwesenheit war sein Leben nämlich entschieden ruhiger und friedlicher. Er verspürte also nicht das Verlangen, sie zurückkehren zu sehen - das Problem war nur, dass ohne das direkte Eingreifen der Götter der Ritus der drei langen Nächte in der Einsamkeit zum Scheitern verurteilt war und Valerius zu einem Ende, das noch endgültiger und unwiderruflicher war als der Tod.
Mac Calma hatte ihn über die mit dieser Prüfung verbundenen Gefahren und Risiken nicht im Unklaren gelassen : Du musst wissen... jedes Scheitern bedeutet den Tod, und zwar nicht nur deines Körpers, sondern auch deiner Seele, und dass selbst ich, der ich der Älteste von Mona bin, dich nicht davor behüten kann.
Doch Valerius wollte schließlich auch von niemandem behütet werden. Das Leben war nun einmal eine riskante Angelegenheit, und es gab keine Möglichkeit, sich gegen Gefahren abzusichern. Wer etwas anderes glaubte, gab sich kindlichen Illusionen hin, und Valerius hatte seine Kindheit schon vor langer Zeit endgültig hinter sich gelassen - als er seinen alten Namen und die Götter seiner Mutter aufgegeben hatte. Er hatte also nicht die Absicht, sich dazu verleiten zu lassen, wieder bei irgendeinem von ihnen Zuflucht zu suchen, ganz gleich, wie groß die Gefahr auch sein mochte.
Jedes Kind kannte jemanden, der sich den Männlichkeitsritualen unterzogen und die Bewährungsprobe nicht bestanden hatte, aber niemals persönlich, sondern immer nur vom Hörensagen. Das Gerücht verbreitete sich von Generation zu Generation, gewürzt mit Details über die vielen möglichen Wege zum Tod. Einige Prüflinge trafen eine unglückliche Wahl, was den Ort anging, an dem sie ihre drei langen Nächte zu verbringen gedachten, und wurden somit von Bären getötet oder vom Blitz erschlagen oder kamen bei unvorhergesehenen Überschwemmungen zu Tode. Andere stießen auf Traumschöpfer - lebende Krieger, die sie zum Kampf herausforderten, um ihre Fähigkeiten zu testen, und das immer mit dem Befehl zu töten, wenn der Junge, der in den Kreis der erwachsenen Männer aufgenommen werden wollte, nicht bereits mit der Schnelligkeit eines wahren Kriegers reagierte. Und wieder andere Prüflinge wanderten ganz einfach in die Nacht hinaus und kehrten niemals wieder zurück. Dann suchten die Träumer die Pfade der Traumzeit nach ihren verlorenen Seelen ab. Es kam jedoch nur selten vor, dass sie sie auch tatsächlich fanden. Zu spät fiel Valerius nun ein, dass er seine Seele unter gar keinen Umständen verlieren wollte.
Nachdem er sich nun wenigstens darüber schon einmal klar geworden war, gab es für ihn nur noch eine einzige logische Alternative, und diese
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