Die Seherin der Kelten
alle Gedanken und Empfindungen mit sich trug. Die Götter schauten schweigend zu und warteten und halfen nicht.
Du bemühst dich zu sehr. Aus dem noch am wenigsten gefährlichen Abschnitt von Valerius’ Vergangenheit meldete Bellos sich zu Wort.
»Ich weiß«, entgegnete Valerius. »Ich weiß aber nicht, was ich sonst machen soll.«
Der Hund kam und setzte sich vor ihn hin. In seiner Erinnerung waren Hails Augen bernsteingelb gewesen. Er beschloss, sich die Augen dieses Hundes hier in der gleichen Farbe vorzustellen. Er nahm den großen Kopf des Tiers zwischen seine beiden Hände und sprach: »Mein Freund, es tut mir Leid. Du hast den falschen Mann vor Gefahren beschützt, die nicht von außen kommen. Ich wünsche dir viel Glück bei den anderen, die nach mir hier erscheinen werden.«
Er gab nicht etwa aus Selbstmitleid auf oder aus Bitterkeit, sondern einzig und allein deshalb, weil er keine andere Möglichkeit mehr sah, weil es nichts mehr gab, was er sonst noch hätte tun können. Schließlich stemmte Valerius sich hoch und richtete sich entgegen den Protesten seiner vom langen Sitzen völlig verkrampften und verspannten Muskeln und Gelenke auf, bis er mit dem Kopf gegen die Decke der Grabkammer stieß. Dann streckte er beide Hände aus und legte seine Handflächen an die steinernen Wände rechts und links von ihm. Der Hund drückte ihm seine Schnauze gegen den Schenkel. Hätte er ein anderes Leben geführt, wäre es eine Freude für ihn gewesen, mit einem solchen Tier an seiner Seite in eine Schlacht zu reiten.
Valerius verneigte sich leicht vor der wartenden Dunkelheit. »Ich habe es nicht geschafft. Ich bitte um Verzeihung. Womöglich hätte ich ja stets versagt, ganz gleich, wann ich mich der Prüfung unterzogen hätte. Ich danke euch dafür, dass ihr mich so lange davor bewahrt habt, dies zu erkennen, so dass ich das Leben führen konnte, das ich bis jetzt geführt habe. Trotz all seiner Fehler, trotz der Toten und der Verluste und der Seelenqualen, die ich gelitten habe, ist es doch ein so gutes und erfülltes Leben gewesen, wie es mir überhaupt nur hätte beschieden sein können, und dafür danke ich euch aus tiefstem Herzen.«
Er erwartete keine Antwort und bekam auch keine. Vorsichtig tastete er sich an den Wänden der Kammer entlang und gelangte so wieder zu dem Tunnel zurück, den einst die Ahnen erbaut hatten. Als er hineingekrochen war, voller Hoffnung und Erwartung, hatte er den Ort als eine Art Mutterleib empfunden, und er hatte sich ausgemalt, wie er nach seinen drei langen Nächten wieder daraus hervorkommen würde - als ein Wiedergeborener, der zum zweiten Mal das Licht der Welt erblickte, ein Mann, der mit sich und seinen Göttern im Einklang lebte und Erbe des Vermächtnisses der Träumer von Mona war. Und allein um dieses Hochmuts willen hatte er bereits verdient, was nun auf ihn zukam - was immer das auch sein mochte. Als Valerius nun also an den spiralförmigen, in Stein eingeritzten Zeichen der Ahnen vorbei Richtung Ausgang kroch, versuchte er erneut, sich daran zu erinnern, wie diejenigen, die in ihren drei langen Nächten versagt und vorzeitig aufgegeben hatten, eigentlich zu Tode gekommen waren. Doch selbst das gelang ihm nicht.
Als Valerius aus dem Inneren des Grabhügels auftauchte, herrschte Nacht um ihn herum; es war eine mondlose Nacht mit nur wenigen Sternen am Himmel, doch ihm erschien sie hell.
Da er mit dem Tod rechnete oder zumindest schon einmal mit den langsamen Anfängen des Sterbens, krabbelte er mit so viel Würde, wie er unter diesen Umständen nur irgend aufbringen konnte, über den als Schutzvorrichtung dienenden Stein am Eingang des Tunnels hinweg. Auf dem Weg in den Hügel hinein hatte sich das Licht von mac Calmas Feuer über die Zeichen auf der Oberfläche des Felsblocks ergossen und die von den Ahnen eingemeißelten Himmelskörper und Kreise plastisch hervortreten lassen. Jetzt empfing Valerius keinerlei Licht, sondern nur ein milder Winterwind und die silbrig schimmernden Grautöne einer Landschaft, die sich selbst für schwarz hielt.
Der Hund folgte ihm nicht nach draußen. Valerius dachte daran, ihn zu rufen, entschied sich dann aber doch dagegen; das Tier war besser dran, wenn es blieb, wo es war, damit es nicht auch noch in das verwickelt wurde, was nun auf ihn, Valerius, zukam, was immer das auch sein mochte. Valerius legte seine Hände trichterförmig an den Mund und schickte seine Stimme in die Nacht hinaus, fort von dem
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