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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Traumhügel.
    »Hallo?«
    Er kam sich albern vor, und das umso mehr, als niemand auf sein Rufen reagierte. Er fror erbärmlich, und sein leerer Magen krampfte sich vor Hunger schmerzhaft zusammen, aber es kam niemand - keine Träumer, die schon auf ihn gewartet hatten, keine Messer, keine Stricke, um ihn zu fesseln, während sie ihm bei lebendigem Leibe die Haut von der Brust abzogen und den Bauch aufschlitzten, damit sich die Krähen über seine Eingeweide hermachen konnten. Der Kreis von mac Calmas Feuer war wieder mit Grassoden bedeckt worden. Hätte Valerius nicht eine ganze Nacht lang davor gesessen, um auf die Morgendämmerung zu warten und in die Traumkammer hineingehen zu können, so hätte er die Stelle, an der das Feuer gewesen war, nun nicht mehr wiedergefunden.
    Die Götter und der Hund hatten ihn verlassen, doch Valerius glaubte nicht, dass auch Luain mac Calma gehen würde, bevor die Sache zu Ende war. Da er aber nicht wollte, dass der Träumer ihn dabei beobachtete, wie er nach ihm suchte, setzte Valerius sich auf den Felsblock am Eingang des Tunnels, um zu warten. Nach der immensen mentalen Anspannung in der Grabkammer der Ahnen empfand er es nun als eine willkommene Erleichterung, einfach nur dazusitzen und an gar nichts zu denken.
    Nach einer Weile, als noch immer keiner gekommen war, um ihn zu töten, erinnerte er sich wieder an den Ort, wo das Feuerholz gelagert wurde. Als er einen Hohlraum auf der trockenen Südseite des Hügels durchsuchte, fand er Zunder und einen Feuertopf, randvoll gefüllt mit alter, erkalteter Glutasche. Er war Offizier der römischen Hilfskavallerie oder war es vielmehr gewesen; er hatte also schon mit sehr viel bescheideneren Hilfsmitteln Feuer gemacht und war schließlich dennoch von den Flammen gewärmt worden.
    Sein Instinkt trieb ihn fort von dem Hügel und in Richtung eines breiten, mit alten Eichen bestandenen Landstreifens, durch dessen Mitte sich ein Fluss schlängelte. Valerius hatte lange Zeit ohne Wasser auskommen müssen. In der Traumkammer war es ihm nicht weiter wichtig erschienen; jetzt jedoch, mit einem schier endlosen Strom kalten, klaren Wassers vor Augen, verging Valerius plötzlich fast vor Durst. Er legte sich der Länge nach auf die Erde, tauchte sein Gesicht ins Wasser und trank für eine Weile, die sich ebenso lange hinzuziehen schien wie die Zeit, die er im Grabhügel der Ahnen verbracht hatte.
    Die Kälte ernüchterte ihn und verlieh ihm Entschlusskraft. Er legte das Feuerholz an einer Stelle aus, an der der Fluss eine Schleife beschrieb, so dass der Platz auf drei Seiten von Wasser umgeben war. Sein Feuer brannte mit kleinen Flammen. In ihrem Licht legte Valerius sich erneut bäuchlings ans Ufer, tauchte seine Hände ins Wasser und ließ seinen Speichel auf die Wasseroberfläche tropfen, um Winterfische anzulocken. Es gab nur wenige, doch er war mit einer Geduld ausgestattet, die all jene, die einst seinem Kommando unterstanden hatten, in Erstaunen versetzt hätte, denn unter ihnen war er wegen seiner Reizbarkeit und Ungeduld berüchtigt gewesen. Im finstersten Teil der Nacht, in jenen Stunden unmittelbar vor der Morgendämmerung, fing Valerius eine kleine Forelle und briet sie über seinem Feuer. Allein der Duft war schon göttlich und der Geschmack so köstlich, dass er keine Worte dafür fand.
    Nachdem er seine Mahlzeit verzehrt hatte, setzte er sich neben das Feuer, um zu warten. Wenn er um seine Sicherheit besorgt gewesen wäre, hätte er sich so hingesetzt, dass er den schützenden Fluss im Rücken gehabt hätte. Seine Sicherheit war im Moment jedoch die geringste seiner Sorgen, und folglich setzte er sich mit dem Gesicht Richtung Osten, so dass er zu jener Stelle blickte, wo gerade der spät aufgehende Mond am Horizont aufstieg und er das Wasser vor sich und rechts und links von sich hatte, während sein Rücken ungeschützt war und somit jedem preisgegeben, der da kommen mochte.
    Es schien fast nicht möglich, dass ihm noch jemals wieder irgendeine Nacht dunkel vorkommen würde. Die Scheibe von Nemains Mond leuchtete so hell und strahlend wie die Mittagssonne. Unfähig, die Göttin direkt anzusehen, betrachtete Valerius stattdessen ihr Spiegelbild und beobachtete, wie es über den Fluss glitt. Die Gewässer waren Nemains Reich. Als Kind hatte Valerius geglaubt, dass die unmittelbare Nähe zu Wasser gefährlich war, dass sie Männer um den Verstand brachte und Frauen in den Wahnsinn trieb. Jetzt begrüßte er die Ruhe und Gelassenheit,

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