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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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die das Wasser ihm schenkte.
    Der Fluss war geradezu lebendig; kleine Fische stupsten mit ihren Mäulern gegen die Oberfläche, sanft gekräuselte Wellen brachen sich an Steinen, rollten wieder zurück und verwoben sich miteinander, der Mond zerbrach und verstreute Millionen von glitzernden Scherben, so dass sich die gesamte Oberfläche des Wassers in eine einzige schäumende, brodelnde Masse von Silber verwandelte, die schließlich eine seltsame Anziehungskraft auf Valerius ausübte. Als sich der Glanz vom einen Ufer bis zum anderen erstreckte, stand Valerius auf, entledigte sich seiner Kleider, ging die Böschung hinunter und watete in den Fluss hinein, um bis zum Hals und noch tiefer in Wasser einzutauchen, das so eisig kalt war, dass es brannte.
    So wie die Traumkammer der Ahnen seinen Geist gereinigt hatte, so reinigte Nemains Fluss nun seine Haut. Er legte sich zurück, bis nur noch seine Nase über der Wasseroberfläche aufragte und dann noch nicht einmal mehr sie. Sein Haar war länger, als es je zuvor gewesen war, und wie ein Witwenschleier trieb es hinter ihm in der Strömung, während es seinen Kopf trug und ihn zugleich unter Wasser zog. Seine Haut gewöhnte sich an die Kälte, empfand sie bald sogar als äußerst angenehm, so dass das Wasser und die glatt geschliffenen Steine des Flussbettes ihn eher liebkosten, als dass sie scheuerten. Er schwelgte regelrecht in diesem Gefühl - er, der fünf Jahre lang Nacht für Nacht allein geschlafen hatte und schon gar nicht mehr gewusst hatte, wie es war, zärtlich berührt zu werden. Er breitete Arme und Beine gegen die Strömung aus, und langsam verwandelte sich der Fluss in einen Geliebten, ergriff ihn mit einer Leidenschaft, die ebenso groß war wie jede, die er für Corvus oder Longinus empfunden hatte, oder wie seine unerfüllte, uneingestandene Sehnsucht nach Caradoc.
    Zuerst kämpfte Valerius noch dagegen an; denn der Fluss gehörte Nemain nicht nur, er war Nemain, Tochter von Briga, Hüterin allen Lebens, Schutzgöttin der Gebärenden, Bewahrerin der Zyklen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich diese Göttin wie Airmid vorgestellt, so dass die beiden in seinen Träumen häufig eins waren. Valerius hatte Airmid nie bewusst begehrt, er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie - oder irgendeine andere Frau - jemals sinnliche Begierde in ihm wecken könnte, aber der Fluss berührte ihn auf einer anderen Gefühlsebene als der fleischlichsinnlichen, und sein Geist war zu erschöpft, um sich gegen die Anziehungskraft einer Göttin zu wehren. So gab er sich ihr schließlich voll und ganz hin und erinnerte sich nur daran, wieder zu atmen, als ihm die Wasseroberfläche entgegenkam.
     
    Später fragte er sich, warum er das eigentlich getan hatte; zu ertrinken war keineswegs die schrecklichste Art zu sterben. Zitternd zog Valerius sich auf das Ufer hinauf. Ihm war kalt, und er fühlte sich erschöpft, ausgelaugt und innerlich leer auf eine Weise, wie es der Traumhügel nicht zu bewirken vermocht hatte. Er zog sich wieder an und schürte das Feuer, so dass die Flammen hoch aufloderten; und nun empfand er sie auf einmal nicht mehr als zu grell, um hineinzuschauen, ebenso wenig wie den östlichen Horizont, wo sich der feurige, glühend rote Schein der aufgehenden Sonne wie geschmolzenes Gold über die Erde ergoss.
    Im Westen tändelte noch immer der Mond herum, eine blasse, gespensterhaft anmutende Sichel, die von dem stärkeren Licht der Sonne überstrahlt wurde. Valerius wandte sich zu ihr um, ließ sich auf dem Boden nieder und saß dann für eine Weile einfach nur da, ohne an irgendetwas zu denken.
    In der Vergangenheit hatten Geister ebenso wie Götter mit Stimmen zu ihm gesprochen, die zu laut waren, als dass er sie hätte ignorieren können. Hier, an den Ufern des Flusses, der für alle Zeit der Tochter Brigas geweiht war, erfuhr Valerius zum allerersten Mal, wie es war, das Flüstern einer Göttin zu hören, wie es war, ein Wissen zu ahnen, das über Worte hinausging, als Nemain kam, um ihn bis in sein tiefstes Inneres mit ihrer Gegenwart zu erfüllen.
    Sie sandte ihm keine Vision von künftigem Ruhm oder verhieß ihm ein Leben frei von Schmerz und Kummer; doch hätte er ohnehin nicht daran geglaubt, noch hätte er um das eine oder andere gebeten. Stattdessen entdeckte er durch den langsamen Untergang des Mondes in sich selbst die Gesamtheit aller Freude und allen Leides und den Sitz seiner Seele als Ausgleich dazwischen. Es war ein Geschenk, größer als

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