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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Cunomar? - dagegen wurde erst später beantwortet, gegen Mitte des Sommers. Während es mit dem Gouverneur allmählich zu Ende ging, war Ardacos von einem Jagdausflug zurückgekehrt mit der Nachricht, dass man einen weizenblonden Jüngling vom Stamm der Eceni in Richtung Norden zu den Bergen der Kaledonier hatte reisen sehen.
    Kurze Zeit später hatte Cunomar damit begonnen, persönlich in Breacas Träumen herumzugeistern. In diesen Träumen sah sie ihn nackt durch unberührte Wälder pirschen, von Kopf bis Fuß mit den mit weißem Kalk und Färberwaid aufgemalten spiralförmigen Zeichen der Bärinnenkrieger bedeckt.
    Ihr Sohn schien größer und breitschultriger, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Er trug einen Speer, der identisch mit demjenigen war, den sie gegen Eneit geschleudert hatte, außer dass die am Heft befestigten Federn nicht von einem Reiher, sondern von einem Kormoran stammten, und dass die Klinge nicht aus Silber war, sondern aus Eisen, verziert mit eingeritzten Zeichen, die Breaca noch nie gesehen hatte.
    Es war ein guter Speer, der perfekt für seinen Arm ausbalanciert war, und allmählich lernte Cunomar sogar, seine Seele mit der des Speers in Einklang zu bringen. In ihrem Traum sah Breaca ihn einem verletzten Bären folgen, der bereits zwei anderen Jägern, die sich an ihn anzupirschen versucht hatten, die Gliedmaßen vom Leib gerissen hatte. Als Cunomar ihn dann in der zweiten Nacht schließlich tötete, schnitt er dem Bären das Herz aus der Brust, hielt es mit beiden Händen hoch und sprach dabei direkt an Breaca gewandt, und zwar mit einem Ernst und einer Eindringlichkeit, die es lebenswichtig machten, das, was er sagte, auch wirklich zu hören.
    Und doch konnte Breaca nicht verstehen, was ihr Sohn ihr sagte. Drei Nächte nacheinander kehrte sie in ihrem Traum an denselben Ort und in dieselbe Zeit zurück und beobachtete die Tötung desselben Tieres. Dreimal hielt die Traumgestalt ihres Sohnes das noch immer klopfende Herz des erlegten Bären hoch und sprach zu ihr, und dreimal strengte sie ihre sämtlichen Sinne bis zum Äußersten an und vermochte doch noch immer nicht die Botschaft zu hören, die mitzuteilen ihm offenbar so ungeheuer wichtig war.
    Cunomar wiederum konnte seine Mutter nicht hören. Es war keine Zeit mehr für Worte gewesen, als er aus dem Theater gerannt war, keine Chance mehr, sich miteinander auszusprechen und alles, was zwischen ihnen nicht stimmte, wieder in Ordnung zu bringen. Wo immer Cunomar nun auch lebte - oder starb -, es war von großer Wichtigkeit, dass er wusste, dass Breaca Eneit sauber getötet hatte, dass der Speer des Gouverneurs in einen bereits toten Körper eingedrungen war, dass Eneit mit dem Mut und der Furchtlosigkeit eines Kriegers gestorben war, dass er Cunomar als allerletztes Geschenk seine Zuneigung und seinen Namen geschickt hatte.
    Nacht für Nacht kämpfte Breaca darum, alles das laut in ihrem Traum auszusprechen, damit Cunomar sie hören konnte und von seinem verzehrenden Hass geheilt würde, aber das Seelenlied des Speers erklang aus ihrem Mund, und sie war einfach nicht dazu im Stande, den Worten eine Bedeutung zu verleihen. Nacht für Nacht blickte der Junge im Traum geradewegs durch seine Mutter hindurch in eine dahinter liegende Welt - und wenn Breaca aufwachte, geschah dies jedes Mal mit der bedrückenden Erinnerung an jenen Blick und an den Abgrund der Verzweiflung, der sich darin aufgetan hatte.
    Gegen Ende des Sommers veränderten die Träume ihre Gestalt, und Cunomar tauchte nicht mehr darin auf. Die Welt hatte sich verändert, und andere Menschenleben spielten nun eine größere Rolle als ein Jüngling, der seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen suchte. Der Gouverneur starb, als der Mond von alt zu neu wechselte - vier Monate nach der Speerwurf-Entscheidung und drei Monate nach dem Ausbruch seiner Krankheit. Er hatte gewusst, was auf ihn zukommen würde, und hatte entsprechende Vorkehrungen dafür getroffen. Trotzdem hatten der Kaiser und sein Senat in Rom es nicht als dringend erachtet, einen neuen Gouverneur in die nördlichste ihrer Provinzen zu entsenden. Wieder einmal waren die Legionen von Britannien also führerlos zurückgelassen worden, und die Krieger der westlichen Stämme hatten sich diesen Umstand zu Nutze gemacht und eine Serie von Großangriffen auf die Grenzfestungen unternommen.
    Zahlreiche Berichte über brutal abgeschlachtete Legionssoldaten waren bis in den Osten durchgesickert, und die in der Gegend

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