Die Seherin der Kelten
gewitzten Händlerinnen von zuvor, die sich in Hörweite anderer mittels einer Geheimsprache verständigten, und das Gefühl war beinahe so viel wert wie ein gewonnener Kampf. »Nimm du ihn mit«, sagte sie. »Ich glaube, auf mich wird wohl irgendwo draußen im Wald Hilfe warten.«
Zwar war sie sich dessen nicht sicher, doch der Gesang der Speere auf ihrer Verkaufsdecke hatte, während das Tageslicht langsam verlöschte, eine neue, beinahe vertraute Klangfarbe angenommen, und in ihrer Seele spürte sie ein altbekanntes Ziehen.
Graine hob also die Zäume auf und ließ die daran befestigten Zügel durch das vom Abendtau benetzte Gras schleifen, so dass sich das Leder von der Feuchtigkeit dunkel färbte. »Du hast Recht, es wartet tatsächlich Hilfe auf dich«, erklärte sie. »Er ist schon seit vier Tagen hier, aber ich musste ihm versprechen, dir nichts davon zu sagen. Er hat mir die Amulette gegeben. Ich glaube, er hat sie selbst geschnitzt.«
Ihre Kinder waren ihr wieder einmal um eine Nasenlänge voraus gewesen, wie immer. Eigentlich hätte Breaca sich über die Mitteilung ihrer Tochter freuen sollen. Und sie war auch froh, nur dass diese Empfindung unter einem ganzen Schwall von anderen, weniger freundlichen Gefühlen unterging. Rasch griff sie nach einem kleinen irdenen Topf mit Honig und warf ihn Graine leichthändig zu.
»Dann bewahr den hier für ihn auf, als ein Geschenk von mir. Ihr könnt ihn ja gemeinsam essen, wenn er sich dazu entschließt, danach mit uns nach Hause zu kommen.«
Die hereinbrechende Dunkelheit schien den Himmel von Osten her bis in den Westen hinauf aufzuzehren. Breaca wartete neben ihrem Feuer und beobachtete dabei die Sklavenhändler, die ihrerseits wiederum die Stelle beobachteten, an der der mit Eidechsensymbolen gezeichnete Krieger der Coritani die Lichtung verlassen hatte. In jenem gewissen Augenblick, als die acht um das Feuer hockenden Gestalten eine dunklere Tönung anzunehmen schienen als ihre eigenen, von den flackernden Flammen erzeugten Schatten, erhob Breaca sich unauffällig und schlich zum Rand des Lagers, fort von den zahlreichen Lichtquellen.
Der Gesang der Speere begleitete sie auf ihrem Weg. Und sie entfernte sich nicht nur von den Sklavenhändlern, sondern auch von der Frau von den nördlichen Eceni, die alle achtzehn von Breacas mit dem eingeritzten Bild des Hasen geschmückten Speerspitzen genommen und ihr als Gegenwert dafür zwei gute Messer und eine rehbraune Hündin mit rauem Fell und samtweichen schwarzen Ringen um die Augen gegeben hatte. Aber dieses Tauschgeschäft hatte lediglich zum Schein stattgefunden. Auch war Graine nicht daran beteiligt gewesen, obgleich die Hündin ein schönes Tier war und gut zu Stone passen würde.
Die Speerspitzen waren von einer Länge, wie sie gewöhnlich nur für die Jagd verwendet wurden; doch die Frau verstand sich darauf, den Gesang ihrer Seelen wahrzunehmen, und sie hatte Gefährtinnen und Gefährten, die von ihr lernen würden, ihn ebenfalls zu hören. Still und unauffällig - ohne all jene, die sie belauerten und beobachteten, in Alarmzustand zu versetzen - rüstete die Bodicea die ersten Mannschaften ihres zukünftigen Kriegsheeres mit Waffen aus.
Am Rande des Marktgeländes, dort, wo heimlich Krieg geführt wurde von jenen Männern, die den Wert anderer Menschenleben in Gold maßen, bahnte Breaca sich einen Weg durch Reihen von zurückgeschnittenen Haselnusssträuchern, wo man das dichte Unterholz nach oben hatte wachsen lassen, um biegsame Ruten für Körbe und die Einzäunung von Schafspferchen zu gewinnen. Die abgefallenen Blätter unter ihren Füßen waren noch feucht von dem am Nachmittag gefallenen Regen, sie bewegte sich also vollkommen lautlos.
Der Gesang der Speere, den sie schon den ganzen Nachmittag über vernommen hatte, schlängelte sich stetig weiter durch die Gänge und Korridore ihres Geistes und wurde mit jedem ihrer Schritte lauter. Sie drang noch tiefer in den Wald ein, folgte dem Singen, so wie ein Hund einer Fährte folgt, bis sich jenes eine, besondere Lied als eine einzigartig reine, makellose Melodie klar und strahlend über all die vielen anderen erhob und sie es zu seiner Quelle zurückverfolgen konnte.
Der Speer, ebenso wie derjenige, der ihn trug, warteten gut versteckt im dunkelsten Teil des Waldes. Breaca ging so nahe an die Stelle heran, wie sie es nur wagte, und lehnte sich dann mit dem Rücken gegen den hohlen Stumpf eines schon vor langer Zeit abgestorbenen Haselnussbaums.
Weitere Kostenlose Bücher