Die Seherin der Kelten
trennten sich die Geschäftspartner wieder. Der Sklavenhändler und sein Leibwächter ergriffen ihre Fackeln und machten sich erneut auf den Weg durch den Wald und zurück zu ihrem Lagerfeuer. Der Echsen-Mann der Coritani entfernte sich nicht gleich, sondern wartete noch eine Weile, den Rücken dem Haselnussstumpf zugekehrt. Zu seiner Zeit war er ein guter Krieger gewesen, das konnte man an den Echsen-Brandzeichen erkennen; folglich wusste er sicher, dass er beobachtet wurde. Er blickte sich nach allen Seiten um, wachsam und misstrauisch, aber ohne jede Furcht.
Breaca fühlte eine leichte Berührung an ihrer Schulter. Und so leise, dass seine Stimme bloß unterschwellig in ihr Bewusstsein drang, ganz so, wie es bei dem Gesang des Speers der Fall gewesen war, sagte Cunomar: »Wir können die Latiner nicht beseitigen; ihr Tod würde Vergeltungsmaßnahmen gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern zur Folge haben. Aber wenn ein Echsen-Krieger der Coritani im Wald von einem Bären getötet wird, dann wird Rom das nicht kümmern.«
»Oder wenn er in den Fluss fällt und ertrinkt?« Breaca hatte genau den gleichen Gedanken gehabt. Ein vages Gefühl der Gefahr überlief sie und hinterließ auf ihren Armen eine Gänsehaut. Der Coritani-Krieger konnte die Bedrohung ebenso deutlich spüren wie sie. Er hatte sein Messer gezogen und wich nun langsam und Schritt für Schritt weiter in das Innere des Waldes zurück, wobei er die Bäume sicherheitshalber im Rücken behielt.
»Vielleicht warten ja noch mehr von ihnen im Wald«, gab Breaca zu bedenken. »Es wäre doch dumm von ihm, allein herzukommen.«
Cunomar bedachte seine Mutter mit einem kurzen, grimmig aufblitzenden Lächeln. Der Mond war inzwischen weit genug am Himmel emporgestiegen, um Cunomars goldenes Haar zum Leuchten zu bringen. Seine Augen waren bernsteingelb und von der prickelnden Erregung der Nacht erfüllt. Er sagte: »Ich glaube nicht, dass er dumm ist. Tatsächlich warten noch mindestens drei andere Krieger am Waldrand. Aber wir beide sind die Bodicea und ihr Sohn, welcher der Bär ist. Für uns sind vier Männer doch eine Kleinigkeit.« Seine Stimme war klangvoll und tief und voller Verheißung. »Willst du mit mir jagen, siegreiche Bodicea?«
Während der fünf Jahre, die sie in den Bergen des Westens verbracht hatte, hatte Breaca auch nach dem offiziellen Ende der jeweiligen Kampfsaison stets unbeirrbar weitergemacht und die Zeit bis zum Beginn der nächsten dazu genutzt, um ihren Kampf gegen den Feind im Alleingang fortzusetzen.
Sie hatte dies freiwillig getan, obwohl es genügend andere gab, die sie auf ihrer Jagd hätten begleiten und die das Risiko und die Hochstimmung nach jeder gelungenen Tötung mit ihr hätten teilen können. Ardacos und Cygfa, Gwyddhien und Braint - sie alle hatten ihr immer wieder und auf unterschiedliche Weise angeboten, gemeinsam mit ihr zum Festland hinüberzufahren, doch Breaca hatte ihr Angebot jedes Mal ausgeschlagen, hatte sie jedes Mal mit Plattitüden abgespeist. Nie hatte sie ihnen gesagt, dass sie die Monate der Einsamkeit, die Freiheit des eigenständigen Vorgehens jedes Jahr aufs Neue genoss.
All die Jahre über hatte Breaca gedacht, dass sie diese Erfahrung nur mit Caradoc hätte teilen können, und der Schmerz über diesen Verlust hatte sich wie ein Mantel um den noch größeren Schmerz gelegt - jenen Schmerz, der sich im Laufe der Jahre so weit erschöpfte, bis er ganz einfach zu einem Teil ihres innersten Selbst wurde.
In jener Nacht aber, in der sie in Gesellschaft ihres Sohnes, Cunomar, Jagd auf die Echsen-Krieger der Coritani machte, erfuhr Breaca zum ersten Mal, wie es hätte sein können, mit seinem Vater zu jagen. Die Freude, die sie dabei empfand, konnte sich durchaus mit dem Schmerz messen, und beide wurden noch übertroffen von der reinen, fließenden Schönheit der Jagd.
Der Feind bestand aus einer fünfköpfigen Gruppe: aus dem Sklavenverkäufer von den Coritani sowie den zwei Männern und zwei Frauen seiner Ehrengarde. Alle trugen das Symbol der Echse zum Zeichen dafür, dass sie in der Schlacht getötet, aber auch Verwundungen davongetragen hatten, und mit ihnen fertig zu werden war keineswegs »eine Kleinigkeit«, wie Cunomar es ausgedrückt hatte.
Das blasse Licht der Sterne und der von Wolkenschleiern verhüllte Mond machten den Wald zu einem Ort sich ständig verändernder Grau- und Schwarznuancen. Der Ranghöchste der Feinde, derjenige, der das Gold von den Sklavenhändlern angenommen
Weitere Kostenlose Bücher