Die Seherin der Kelten
hatte, entfernte sich von dem Treffpunkt und verriet sich dabei durch ein flüchtiges Aufblitzen seiner eisernen Dolchklinge, obwohl die Vernunft ihm hätte sagen müssen, dass er sich besser still verhalten hätte.
Der Gesang von Cunomars Messer verschmolz mit dem Lied der Speere, und ihrer aller Stimmen verbanden sich mit dem Wispern und Raunen eines Waldes bei Nacht. Cunomar tippte sich mit zwei Fingern auf seinen Unterarm und wies mit einer wortlosen Kopfbewegung gen Westen. Sie befanden sich auf Eceni-Territorium, in Eceni-Jagdrevieren; Cunomar kannte sich in dem Wald ebenso gut aus wie Breaca; nicht aber die Echsen-Kämpfer der Coritani. Breaca nickte und machte ihr eigenes Zeichen, indem sie mit dem Handballen Richtung Osten zeigte.
Daraufhin trennten sich Mutter und Sohn, verschmolzen lautlos mit einem Wald, der sie geradezu willkommen hieß, und als sie sich schließlich wieder trafen, befanden sie sich mitten zwischen dem Sklavenverkäufer der Coritani und den vier Kriegern seiner Ehrengarde.
Sie töteten ihn aber noch nicht sogleich; die Jagdehre verlangte, dass er der Letzte sein sollte. Breaca hob einen Stein von der Größe ihrer Faust auf und ließ ihn links von sich über den Waldboden rollen. Alte, vertrocknete Blätter und kleine Zweige knackten unter seinem Gewicht, während er davonkullerte. Der Sklavenverkäufer erstarrte, fuhr herum und zwängte sich zwischen den Stamm einer Rotbuche und das peitschende Gestrüpp, welches den Baum umgab. In einiger Entfernung vor ihm trennten sich zwei der Mitglieder seiner Ehrengarde voneinander und waren somit nicht länger im Stande, sich gegenseitig als Schutzschild zu dienen.
Breaca hatte nicht genug Platz, um ihre Steinschleuder zu benutzen, und für den Einsatz eines Messers bestand noch keine Notwendigkeit. Sie brach jenem Krieger, der nun ihren Pfad entlangkam, also kurzerhand das Genick, indem sie unvermittelt aus der Dunkelheit heraustrat, von hinten sein Kinn umfasste und seinen Kopf mit einer heftigen, ruckartigen Bewegung nach oben, nach hinten und zur Seite riss. Einen Feind zu töten war so viel leichter, als ihr einst der Gedanke an Graines Tötung erschienen war - selbst wenn Letzteres allein aus Barmherzigkeit heraus geschehen wäre. Erst als sie den leblosen Körper zu Boden sinken ließ, stellte Breaca fest, dass es sich um eine Frau handelte, und empfand tiefes Bedauern.
Gleich darauf stieß Cunomar zu ihr. Er hatte in der Zwischenzeit sein Wams abgelegt, und die Nacht ließ seine Bärennarben, die sich in langen, überkreuz verlaufenden, rippenartigen Erhöhungen von seinen Schultern bis zu seiner Taille hinunterzogen, wie einen Harnisch erscheinen. Sein Messer glänzte feucht-schwarz. Das Singen der Klinge war intensiver geworden, hatte sich zu jenem vollen Tönen gesteigert, das Breaca einst in der Schmiede vernommen hatte, und diesen Klang würde die Klinge beibehalten, bis sie zerbrach und ihr Lied für immer verstummte.
Cunomar kniete sich nieder, um in den Körper der Frau, die durch Rom zur Sklavenhändlerin geworden war, Kratzer und Schnitte zu ritzen, die den Eindruck erwecken könnten, als sei sie von einem Bären angefallen und getötet worden. Plötzlich war die Nacht durchdrungen von dem Übelkeit erregenden Gestank frischen Blutes und eines aufgeschlitzten Magens.
Der Wald hielt den Atem an, so dass selbst die jagenden Wiesel für einen Moment reglos verharrten. Ein Stück weiter voraus röhrte ein Hirsch in der Dunkelheit, und dahinter noch ein zweiter. Kein Hirsch röhrte bei Nacht. Sie kannten einander nun also: Jäger und Gejagte; zwei gegen drei.
Cunomar erhob sich wieder und stellte sich dicht neben seine Mutter. Jetzt grinste er nicht mehr wie zuvor; sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, eine reglose Maske höchster Konzentration und Entschlossenheit. Breaca und Cunomar waren nicht mehr länger auf Worte oder auf die Klopfzeichen der Bärinnenkrieger angewiesen, um sich miteinander zu verständigen; für die Dauer dieser Jagd wurden die Bodicea und ihr Sohn zu einer untrennbaren Einheit, zu zwei Klingen ein und derselben Waffe. Seine Augen waren die ihren, ihre Gedanken die seinen - von der Scham darüber, eine Frau der Stämme getötet zu haben, bis hin zu dem Stolz über die meisterhafte Art der Tötung. Und als er beinahe den Tod gefunden hätte, wäre auch sie fast gestorben.
Als sie nun am Rand einer kleinen Lichtung entlangschlich, die von moosüberwucherten Steinen und tellergroßen, im Mondlicht
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