Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
die Schreibstube hätte hereinlassen dürfen, sondern der im Vorzimmer bei seinen Kriegern hätte warten müssen; wäre dieser nicht zugleich auch der Sohn des letzten Königs gewesen und hätte somit ein Recht darauf, bei der Verlesung des väterlichen Testaments zugegen zu sein. Er hatte den Sekretär freundlich angelächelt, der den Umgang mit den Wilden wiederum in keinster Weise gewohnt war - vor allem nicht den Umgang mit halb nackten jungen Männern mit Raubtierzähnen im Haar und Narben auf den Körpern, die ihn schlicht anlächelten und dabei kurz ihre Schultern hoben, so dass die von den Bestien herrührenden Male auf ihrer Haut für einen Augenblick wie mit Leben erfüllt zu sein schienen. Eine dunkle Röte überzog den Halsansatz des Sekretärs, breitete sich sogar noch etwas weiter aus, als Cunomar sein Lächeln noch etwas breiter erstrahlen ließ. Der Sekretär verzichtete auf seine sorgfältig zurechtgelegte Protestrede.
    Vier Männer standen also wie vom rechten Weg abgekommene Kinder vor dem marmornen Schreibtisch, während der Sekretär nach jener Pergamentrolle suchte, die Prasutagos, König der Eceni von des Kaisers Gnaden, vor Zeugen und an jenem Tage unterzeichnet hatte, als Eneit starb. Schließlich fand er sie und begann zu lesen.
     
    Ein Teil von Cunomar lebte auf ewig in jener Höhle der Stammesältesten der Kaledonier fort, in der er zum ersten Mal das innere Wesen der Bärinnenkrieger begriffen hatte. Als er dort drei Tage lang unter sengend heißen Messern ausharrte, hatte er gelernt, was es bedeutete, seinen Verstand und seinen Körper im Dienste der Götter zu schulen.
    Dieses Wissen war ihm nun in der kalten, marmornen Stube des Sekretärs des Gouverneurs von großem Nutzen. Es ließ seine Sinne erst verschwimmen und dann umso schärfer wieder hervortreten, so dass er den fast schon vom Prokurator errungenen Sieg förmlich riechen konnte, ebenso wie das argwöhnische, doch ehrliche Wesen von Corvus, dem Präfekten, sowie die etwas pragmatischer ausgerichteten und im Augenblick sehr verzweifelten Gedanken des Arztes. Die Male der Bärinnenkrieger auf seinen Schultern brannten, als wären sie ihm gerade erst zugefügt worden, und seine Eingeweide krampften sich zusammen in der Vorahnung einer Schlacht, bei der er sich noch nicht sicher war, wie er sie zu kämpfen hatte, und es sich zugleich doch nicht erlauben durfte, sie zu verlieren.
    In der Annahme, in ihm den für diese Aufgabe am besten Geeigneten zu sehen, hatte seine Mutter ihn ausgesandt. Und in der Annahme, in sich selbst sogar ganz eindeutig den am besten Geeigneten zu sehen, hatte Cunomar das Geschenk ihres Vertrauens angenommen und war nach Camulodunum gereist. Und noch immer glaubte er dies, verließ sich ganz auf seine von den Bärinnenkriegern geschärften Instinkte, die ihm, wenn der richtige Augenblick gekommen wäre, schon sagen würden, wie er sich verhalten musste. Alles, was er in der Wartezeit noch zu tun hatte, war, sich bereit zu halten und nicht seiner Angst nachzugeben. Er zog die Schulter hoch, drückte sie anschließend nach hinten und löste damit seine innere Anspannung. Der Sekretär blickte auf, als Cunomar diese kleine Lockerungsübung vollzog, und die schwarzen Pupillen seiner Augen wurden plötzlich sehr groß.
    Er schluckte mit trockener Kehle, und langsam, als ob er zu einem Schwachsinnigen spräche, fragte er: »Du bist der Sohn des Königs?«
    Cunomar lächelte, einfach nur aus Freude daran, den Mann erneut erröten zu sehen, und erwiderte dann in fehlerfreiem Latein: »Nur dem Namen nach bin ich sein Sohn. Von seinem Blute nämlich stamme ich nicht ab.«
    »Ich verstehe. Das würde es erklären.« Trotz der Kühle des Frühlingstags und eines Raums, der ganz mit Stein ausgekleidet war, begann der Sekretär leicht zu schwitzen. Er ließ den Blick vom Prokurator zum Präfekten hinüberhuschen und wieder zurück. Es war nicht ersichtlich, wessen Geduld sich als Erste erschöpfen würde, sondern nur, dass keiner von beiden Männern geneigt war, sich noch länger aufhalten zu lassen.
    Corvus erhob als Erster die Stimme. »Herr Sekretär, wenn wir nun endlich die Einzelheiten des Vermächtnisses des Königs erfahren dürften, und zwar ohne irgendwelche an die Götter oder den Kaiser gerichteten Einwürfe, so wären wir auch umso schneller wieder aus Eurer Schreibstube verschwunden.«
    Der Sekretär zögerte, wägte seine Verpflichtung zur Einhaltung der Gesetze gegen das noch dringendere Bedürfnis ab,

Weitere Kostenlose Bücher