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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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diese Männer endlich wieder loszuwerden, die da in sein Arbeitszimmer eingedrungen waren. Nachdem eine Weile verstrichen war, senkte er den Blick auf das vor ihm liegende Schriftstück und sprach: »Wenn ich einmal die Liste der Pferde, des Goldes und der Ländereien und Güter auslasse, dann tritt klar hervor, dass der König mit keinem Wort seinen Sohn erwähnt, so wie es doch wohl angemessen gewesen wäre, sondern dass er die eine Hälfte seines Besitzes dem Kaiser vermacht, möge diesem ein langes Leben beschieden sein, sowie die andere Hälfte... seinen beiden Töchtern.«
    Cunomar hatte keineswegs erwartet, in dem Testament bedacht zu werden. Ein Teil von ihm brach innerlich also in Jubelgeschrei aus, pries Graine und Cygfa, während der andere Teil seines Ichs bereits Erwägungen anstellte, wie man Tagos’ zu veranschlagenden »Besitz« wohl möglichst gering halten könnte. Zu spät bemerkte er den schweigenden Triumph des Prokurators auf der einen Seite und Corvus’ entsprechend große Verzweiflung auf der anderen.
    Er hob den Blick wieder und erkannte, wie etwas Unausgesprochenes, doch beinahe körperlich Greifbares zwischen Corvus und Theophilus, dem Arzt, ausgetauscht wurde. Beide wandten sich um, um ihn anzublicken, und Cunomar las Mitgefühl in ihren Augen sowie den Wunsch, ihm zu helfen, ohne jedoch zu wissen, wie sie dies bewerkstelligen sollten.
    Theophilus stupste Cunomar leicht an. Der Prokurator hatte etwas gesagt, doch Cunomar hatte ihn nicht verstanden.
    »Wie bitte?«, fragte er.
    Noch einmal hob der Mann an, sprach in dem simplen Latein der Kinder und mit deutlich voneinander abgesetzten Worten. »Deine Schwestern, die Töchter des Königs, sind sie verheiratet?«
    Innerhalb der Zeitspanne, die es brauchte, um diesen einen Satz auszusprechen, waren sie gegeneinander in den Krieg getreten, so unmissverständlich, als ob ihre Klingen bereits von Blut benetzt wären. Doch weil die Götter nur der Wahrheit ihre Gunst beweisen, entgegnete Cunomar: »Die Eceni heiraten nicht. Wir sehen darin keinerlei Bedeutung.«
    Die von Marmor umschlossene Stille brach auseinander. Eine einzelne, wächserne Träne tropfte von einer der scheinbar den Elefanten entwachsenden Kerzen auf den Tisch des Sekretärs. Das Geräusch, das dieser Tropfen verursachte, war leiser als das Geräusch einer zu Boden fallenden Feder, und dennoch schallte es ihnen allen deutlich vernehmbar entgegen. Corvus stöhnte auf. Theophilus schloss die Augen und klopfte mit dem Zeigefinger gegen seine Lippen.
    Decianus Catus, Prokurator aller dem Kaiser gehörenden Güter und Vermögen sowie Neros ziviler Stellvertreter in der Provinz Britannien, lachte ungehemmt.
    »Dann sind sie hiermit verwaist und müssen folglich zu Mündeln des Kaisers erklärt werden, welcher fortan die schwere Bürde auf sich nehmen wird, ihre Güter und ihren Besitz zu verwalten. Mit Freuden wird er ihnen in Rom passende Ehemänner suchen. Zahlreiche Männer, da bin ich mir sicher, würden sich glücklich schätzen, die Tochter eines Barbarenkönigs zu heiraten, das heißt, sofern die Mitgift entsprechend großzügig bemessen ausfällt. Ein Teil der Staatseinnahmen aus dem Stamme der Eceni würde selbst den trägsten der Senatorensöhne noch dazu bewegen können... Nein!« Der Prokurator trat einen Schritt zurück und stieß sich prompt die Hüfte am Tisch des Sekretärs. Schrill rief er aus: »Willst du mir etwa vor den Augen eines Präfekten Gewalt androhen?«
    »Ich drohe Euch keine Gewalt an.«
    Das stimmte; Cunomar hatte sich überhaupt nicht gerührt. Drei Tage unter den Messern der Bärinnenkrieger der Kaledonier ließen ihn entgegen dem Drängen sämtlicher seiner Instinkte ruhig verharren; entgegen dem heißen, sich in seinem Inneren zusammenballenden Bedürfnis zu töten, das er wohl schon bei seiner Mutter beobachtet, noch nie aber in sich selbst verspürt hatte. Dass dieser Drang sich nun dennoch und unabhängig davon, wie kurz dieser Moment auch gewesen sein mochte, in seinen Augen, auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte, war bedauerlich. Doch Cunomar tat alles in seiner Macht Stehende, um erneut Ruhe in seine Seele einkehren zu lassen.
    Und in dieser einen Sache erhielt er nun tatsächlich Unterstützung. Hinter ihm stand Theophilus; Cunomar konnte dessen Hand in seinem Rücken spüren und hörte die leisen, in der Sprache der Eceni gemurmelten Anrufungen Nemains, die stets vor einer Schlacht gesprochen wurden. Auch Corvus war nun dichter an ihn

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