Die Seherin der Kelten
sehen die Pferde natürlich erbärmlich aus«, erklärte Breaca. »Rechtzeitig zum Herbstpferdemarkt werden sie aber wieder in Form sein.«
Der Prokurator wandte den Blick nicht von dem Berghang ab. »Im Herbst wird das nicht mehr länger deine Sorge sein.« Der Dolmetscher vom Stamme der Trinovanter brachte es nicht über sich, diese Äußerung ins Eceni zu übertragen. Und Breaca erinnerte ihn auch nicht daran.
Was zählte, war vielmehr das Wissen, wo genau sich die einzelnen Mitglieder ihrer Familie aufhielten, und dass Breaca ihre Verantwortung ihnen gegenüber erfüllte, Augenblick für Augenblick, bis die Zeit zum Handeln gekommen war.
Cunomar saß auf einem gefällten Baumstamm in der Mitte der Siedlung, umgeben von seinen acht Wachen. Er fing den Blick seiner Mutter auf und legte die Hand auf seinen Arm. Er trug keine Tunika, hatte damit also auch kein Messer unter seinem Ärmel verborgen, doch er sah, oder vermutete vielmehr, wo Breaca das ihre versteckt hielt. Sie trug es unter ihrem Ärmel, auf der Innenseite ihres linken Unterarms festgebunden, und dieses Messer war weitaus länger als erlaubt. Er dagegen war unbewaffnet, andererseits war er aber auch ein Bärinnenkrieger und konnte folglich auch ohne Waffe töten. Schon oftmals hatte Breaca Ardacos auf diese Weise töten sehen.
Airmid, Cygfa und Gunovar wurden etwas abseits gehalten und unmittelbar vor Tagos’ ehemaligem Schlafgemach gesondert bewacht. Noch vor allem anderen war es wichtig, nicht zu weit von ihnen fortgebracht zu werden; denn Airmid trug kein Messer bei sich und würde, sobald der Kampf begann, nicht mehr allzu lange am Leben bleiben. In erster Linie aber war Breaca unendlich froh darüber, dass sie Graine nicht hatte mitkommen lassen.
»Du hast noch mehr Pferde als bloß diese paar Tiere hier.«
Ein etwas weniger verzweifelter Mann hätte diesen Satz vielleicht zunächst als Frage formuliert. Obwohl Breaca keinerlei Grund dafür erkennen konnte, warum der Bevollmächtigte zur Erhebung der kaiserlichen Steuern überhaupt einen so gehetzten Eindruck machte; außer natürlich er nahm, unbewusst, ihre wachsende Unruhe und Gewaltbereitschaft wahr.
Sorgsam um innere Ruhe bemüht entgegnete sie also: »Den Winter über lassen wir die Pferdeherden sich über das gesamte Land verteilen, um die Last, die durch sie auf den Siedlungen ruht, möglichst gering zu halten. Im Frühling, wenn die Zeit des Fohlens vorüber ist, holen wir sie dann wieder zu uns.«
Das ergab zumindest einen gewissen Sinn. Der Prokurator schürzte die Lippen und fragte: »Wenn das so ist, möchte ich wissen, wie viele von den Pferden, die du bereits hier hast, dem König gehörten?«
»Der König hatte sich überhaupt nicht für Pferde interessiert. Keines von diesen hier gehörte ihm.«
»Wem gehören sie dann?«
»Mir.«
»Und du warst seine Ehefrau.« Ausdruckslos starrte der Prokurator sie an. »Deshalb gehörten sie in letzter Konsequenz eben doch ihm und jetzt dem Kaiser. Also, wie viele?«
Breaca war eine der Stammesältesten im Rat von Mona gewesen, sie vermochte ihren Gesichtsausdruck also in jedem Fall zu beherrschen, ganz gleich, welches Durcheinander unterdessen in ihrem Inneren toben mochte. »Nach dem Winter, den wir gerade hatten?«, fragte sie. »Das ist schwer zu sagen. Wenn die Stuten überlebt haben sollten und nun trächtig sind und ihre Fohlen bis ganz zum Schluss austragen, wenn die Fohlengeburten gut verlaufen und die Jungtiere gedeihen, dann werden wir, die Fohlen mit eingerechnet, bei etwas über tausend Tieren liegen. Sollten die Geburten jedoch schlecht verlaufen und wir etliche Stuten und Fohlen verlieren, dann sind es vielleicht nur gerade eben siebenhundert. Aber solcherlei Dinge liegen allein in den Händen der Götter.«
»Von heute an liegen sie in den Händen des Kaisers«, antwortete der Prokurator, »da sind sie verlässlicher aufgehoben als bei jedem Gott.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt, wobei er im Geiste noch immer Zahlen addierte. Sein Blick fiel auf Stone, der neben Breaca lag. »Und wenn die Hunde tatsächlich von Wert sind, sollten wir die auch mit einrechnen. Wie viele hast du von denen?«
Breaca war zwar im Stande, ihre Gesichtszüge zu beherrschen, ihre Gedanken vor einem Römer zu verbergen - sie konnte aber nicht ihre Seele vor ihrem Hund verstecken. Wenn Stone knurrte, dann war er eine nicht zu unterschätzende Bedrohung, schwieg er jedoch, so wurde er zu einer tödlichen Gefahr. Ohne jeden Laut erhob
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