Die Seherin der Kelten
Breaca hatte noch immer ihre Namen im Gedächtnis, wusste, wer ihre Familien gewesen waren. Und als sie jetzt inmitten des schwachen Lichtkegels seiner Lämpchen stand, sah sie in Prasutagos’ Augen nun wie in einem Spiegel, wie genau diese Erinnerung sich langsam auf ihrem Gesicht abzeichnete.
Er wollte sie gerade ein drittes Mal fragen und war keineswegs erfreut darüber, dass er seine Frage so oft wiederholen musste. Er hatte sein Temperament noch nie sonderlich gut zügeln können, noch nicht einmal ganz früher, bevor er seinen Arm verloren hatte. Nach seiner schweren Verwundung hatte er eine Neigung zu plötzlichen Gewaltausbrüchen entwickelt. Und auch das hatte Breaca noch nicht vergessen. Doch es würde niemandem nützen, wenn sie nun hier und jetzt in einem Kampf aneinander gerieten.
»Aber die Möglichkeit, dass Lanis uns wieder nach Hause geschickt hätte, war doch tatsächlich gegeben«, entgegnete sie. »Sie wurde schließlich von Airmid ausgebildet und ist seitdem auch immer wieder einmal nach Mona gereist. Sie lebt ihr Leben stets im Angesicht der Götter und mit ebenso viel Integrität wie auch jeder andere Träumer, den ich jemals kennen gelernt habe. All ihre Leidenschaft, ihre größte Sorge richten sich doch allein auf das Wohlergehen ihres Volkes. Wenn sie also der Ansicht gewesen wäre, dass die Gefahr, die meine Anwesenheit hier für euch alle bedeutet, den eventuellen Nutzen nicht wert gewesen wäre, hätte sie schon dafür gesorgt, dass die Versammlung uns wieder zurückschickt, egal, was du und ich entschieden hätten.«
So hatte es wohl auch Tagos gesehen, und Breaca hatte die panische Angst bemerkt, die sich während der Versammlung auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte. Nun aber tat er, als würde ihn all das kaum berühren, und fragte: »Und, wärst du dann wieder gegangen?«
»Natürlich. Denn wenn ich hier bin, dann nur mit dem Rückhalt und der Unterstützung der Träumer; ansonsten möchte ich mich hier lieber nicht aufhalten.«
Zumindest das entsprach der Wahrheit. Ihre einzige Lüge bestand in der Behauptung, dass sie, als sie in den Versammlungskreis eingetreten war, noch Zweifel gehabt hätte, wie die Zusammenkunft der Träumer und Krieger sich entscheiden würde. In Wirklichkeit nämlich war sie keineswegs davon ausgegangen, dass man sie möglicherweise wieder zurückschicken würde; denn auch andere hatten bereits zu viel geopfert, damit sie, Breaca, es überhaupt bis hierher schaffen konnte. Und genau dieses Wissen hatte Breaca bereits in Lanis’ Augen erkannt, noch ehe die Träumerin aufgestanden war und ihre Stimme erhoben hatte. Und auch das anschließend in Lanis’ Augen aufflackernde Mitleid hatte sie gesehen. Denn keine von ihnen beiden glaubte daran, dass der Weg, der nun vor Breaca lag, leicht zu beschreiten sein würde. Sich nun abzuwenden oder gar einen Rückzieher zu machen, war jedoch genauso undenkbar. Die Herausforderung für Breaca bestand also darin, dass sie lernte, in dieser lachhaften Karikatur eines römischen Dorfes mit diesem Mann und zwischen den Überresten ihres Volkes zu leben. Doch schließlich war nichts unmöglich.
»Möchtest du einen Schluck Wein?«
Tagos stand abwartend neben ihr. Der Becher in seiner Hand schimmerte in einem dunklen Rot. Er stellte ihn behutsam auf den Deckel einer eichenen Truhe und goss mit einer Hand den Wein ein. Die gesamte Szene wirkte bereits ziemlich römisch, aber eben noch nicht ganz; genauso wie der Hintergrund, vor dem er stand.
Die Wand hinter seinem Rücken war ordentlich verputzt. Das Bild, welches in dem tiefen Blau der Eceni darauf gemalt worden war, war jedoch schon lange, bevor Rom sich auch nur eine Stadt nennen durfte, bereits ein traditionelles Motiv der Stämme gewesen. Es war das Bild einer galoppierenden Stute. Unter dem Bild, auf dem Deckel der Truhe, schimmerte ein kleiner Haufen Silbermünzen mit jenem frischen Glanz, wie sie ihn nur unmittelbar nach der Punzung aufwiesen.
Breaca nahm eine der Münzen auf und las die Prägung: Ecen . Und auf allen Münzen des kleinen Haufens prangte im Profil der Kopf des jugendlichen Kaisers Nero; einem korpulenten Jungen mit ausgeprägtem Doppelkinn.
»Zwar nicht der schönste aller Männer, aber mit Abstand der mächtigste. Es zahlt sich aus, mit ihm befreundet zu sein. Jenen, die in seiner Gunst stehen, schenkt er große Reichtümer, ebenso wie es vor ihm auch schon sein Onkel gehalten hatte.«
Tagos stand nun unmittelbar neben Breaca. Sein Atem
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