Die Seherin der Kelten
er ihr diese stillschweigende Übereinkunft zwischen ihm und den Römern; als ob allein die Tatsache, dass sie einst die Anführerin der Eceni gewesen war, Breaca als würdig genug auswiese, an diesem Wissen teilhaben zu dürfen. Die Macht dieser Erkenntnis, oder die Kraft des Weines, drängten Prasutagos schließlich durch den unsichtbaren Schutzschild hindurch, der Breaca umgeben hatte. Er neigte sich näher zu ihr hinüber, strich mit seinen Fingern langsam an ihrem Arm entlang. Doch ihren Körper vermochte Breaca nicht so gut zu beherrschen wie ihre Gedanken. Unter Prasutagos’ Berührung breitete sich eine Gänsehaut über ihren Unterarm aus.
Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Stirn. »Ich glaube wirklich, du solltest ein wenig Wein zu dir nehmen.« Er füllte ihr einen Becher und stellte ihn neben ihr auf dem Boden ab. Breaca aber ignorierte den Wein.
Er streichelte mit den Fingerspitzen über ihren Nacken und sagte: »Du hast noch gar nicht danach gefragt, wo deine Familie schlafen wird.«
»Danach brauche ich auch nicht zu fragen.«
Die kleinen Fackeln rußten. Einer nach der anderen ging das Öl aus, und so dünn wie Spinnwebfäden ringelte sich der Rauch zur Decke empor. Breaca schloss die Augen. Fast dämmerte schon wieder der neue Tag, und die Speerwunde an ihrem Arm schmerzte. Sie war so müde, als ob sie den ganzen Tag gekämpft habe, und sie wollte Wasser oder Ale, aber keinen Wein.
Wieder und wieder kreiste Tagos’ Daumen in ihrem Nacken. Es bestand die Gefahr, dass sie sich würde übergeben müssen, doch das wäre wahrlich zu peinlich. Nach den Tagen, in denen Breaca allein den Worten der Ahnen gefolgt war, lastete nun auf einmal schwer die Wirklichkeit auf ihr. Und Prasutagos hatte Recht, denn die Wirklichkeit sah ganz und gar nicht so aus, wie sie es sich ausgemalt hatte. In eine Schlacht zu reiten war viel, viel einfacher.
Doch es mussten noch einige Dinge gesagt werden, mussten noch Grenzen gesetzt werden, damit sie beide sie respektieren konnten.
»Wir haben eine Übereinkunft«, begann Breaca erschöpft. »Und über den Inhalt dieser Übereinkunft sollten wir uns beide im Klaren sein. Du hast deinen Teil der Abmachung, deine Bedingungen, ja bereits deutlich erklärt: Ich werde deine Frau sein, in jeglicher Beziehung, und ich werde dich in deiner Herrschaft über die Eceni unterstützen. Genauso eindeutig sind auch meine Bedingungen. Sollte meinen Kindern oder Airmid oder irgendjemandem von denen, die mir ihre Treue geschworen haben, irgendetwas angetan werden, oder sollte irgendeine von den Frauen gegen ihren Willen berührt werden, so wirst du mich verlieren ebenso wie sämtliche Hoffnung, noch weiterhin über die Eceni zu regieren. Unser Volk mag zwar nicht darauf vorbereitet sein zu kämpfen, aber es ist auch nicht jene Schafsherde, zu der du es gerne degradieren möchtest, und es wird auch nicht gezwungen, deine Herrschaft darüber hinzunehmen. Die königliche Linie ist immer eine Verbindung zwischen den Menschen und den Göttern gewesen. Du aber hast diese Verbindung unterbrochen, und das damit einhergehende Risiko musst du nun allein tragen.«
»Zweifellos.« Tagos konnte es nicht leiden, wenn man ihm mit Herablassung begegnete. Er zog die Hand von ihrem Nacken fort. Breaca atmete tief durch.
»Ist das alles?«, fragte er.
»Nein. Eine Sache noch. Wir beide werden keine Kinder haben.«
»Was?« Nun verlor er schließlich doch seine Selbstbeherrschung. »Du hast vor dem Ältestenrat geschworen...«
»... deine Ehefrau zu sein, in jeglicher Beziehung. Ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, was ich gesagt habe und was das bedeutet. Allerdings habe ich nicht geschworen, dass ich in der Lage wäre, Kinder zur Welt zu bringen. Denn ich kann keine Kinder mehr bekommen, zumindest sagt das Airmid. Um die genauen Gründe dafür zu erfahren, musst du sie schon selbst fragen, aber soweit ich verstanden habe, hat Graines Geburt Wunden hinterlassen, die nicht mehr verheilen.«
Er starrte sie an, schien nur halb zu hören, was sie sagte. Er atmete rasch und hatte die Augen weit aufgerissen. »Und ist das nun alles?«
»Das ist alles.«
»Gut.« Mit diesem einen Wort besiegelten sie nun jene Übereinkunft, die Breaca selbst einst in einer Höhle an einem Berghang als die beste aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auserkoren hatte. Die Wirklichkeit war zwar weniger angenehm, als sie erwartet hatte, aber auch weniger erschreckend, als sie
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