Die Seherin der Kelten
herausreißen lassen, hinaus in die milde Nacht gewankt war und über die Fohlenkoppel hinter der Schmiede tappte, fand er dort eine andere Art von Schlachtfeld vor, das sich leider nicht so einfach wieder würde ordnen lassen.
Dort, unter einer Eiche und in einem großen Bett aus zertrampeltem, aufgewühltem Gras, lag auf der Seite ausgestreckt und zitternd die rote Stute, die mac Calmas Geschenk an Valerius gewesen war. Aber an ihrer Seite lag kein Fohlen, und es gab auch keinerlei Anzeichen dafür, dass sie bereits eines zur Welt gebracht hätte, und doch schwebte über allem der salzige, leicht nach Honig duftende Geruch des Fruchtwassers. Die Stute gab das tief aus dem Bauch aufsteigende Stöhnen eines Muttertieres von sich, das alles gegeben hatte, um sein ungeborenes Junges aus dem Leib zu pressen, und es doch nicht geschafft hatte.
All dies begriff Valerius bereits, noch während er über die Koppel eilte. Als er näher trat, erblickte er Bellos, der neben den Hinterhufen der Stute lag, und der schwarze Torffleck auf seinem weißblonden Haar verriet, wo einer der Hufe ihn geradewegs und mit großer Kraft hinter der linken Schläfe getroffen hatte.
Es war noch dunkel, und Valerius hatte keine Kerze mitgebracht. Er hatte den Kopf des Jungen bereits angehoben, hatte ihn in die Wange gekniffen, hatte zweimal seinen Namen gerufen, ehe er das Blut bemerkte, das aus Bellos’ Nase floss, und den noch feineren Blutfaden, der von seinem Ohr hinabrann.
Valerius erstarrte und mit ihm sein Vermögen, noch klar denken zu können.
»Bellos?«
Valerius schob dem Jungen das Haar aus dem leblosen Gesicht und strich es ihm so behutsam hinter die Ohren, wie er es, wäre Bellos wach gewesen, niemals gewagt hätte. Selbst die vollen sechs Jahre, die sie nun schon gemeinsam verbracht hatten, hatten nicht jene Schranke der Förmlichkeit zu durchbrechen vermocht, die sie bereits in den allerersten Tagen ihres Kennenlernens zwischen sich errichtet hatten; damals, als Valerius noch allein für die Legionen gelebt hatte und Bellos der sich prostituierende Junge gewesen war. Der Junge, den Valerius weder aus Mitleid noch aus Liebe, geschweige denn, um ihn zu benutzen, gekauft hatte, sondern lediglich aus der Hoffnung heraus, dass er ihm vielleicht einen der ihn am hartnäckigsten verfolgenden Geister vom Leibe halten könnte.
Die Erkenntnis aber, dass er seine Freiheit nur auf Grund der Tatsache gewonnen hatte, dass er für Valerius eben überhaupt keine Bedeutung hatte, hatte dem Selbstvertrauen des Jungen einen schweren Schaden zugefügt. Das hatte sich bereits in ihren ersten gemeinsamen Tagen in Gallien gezeigt, als er sich im Angesicht der Legionen und der unheilvollen Mächte des Ozeans noch Schutz suchend an Valerius geklammert hatte. Doch mit seinem Erwachsenwerden, und dies war besonders seit dem letzten Winter offensichtlich, war der Schmerz in Bellos nur noch größer geworden, nicht etwa geringer.
Valerius für seinen Teil war sich jedoch nie sicher gewesen, was er sagen sollte, und hatte folglich gar nichts gesagt. In einem halben Jahrzehnt hatten sie also nicht ein einziges Mal von Liebe gesprochen oder vielmehr von ihrem Fehlen. Erst die rote Kavalleriestute, die dem Jungen so offen ihre Zuneigung zeigte, gegenüber Valerius dagegen überhaupt keine Empfindungen erkennen ließ, hatte es schließlich geschafft, der Mauer zwischen den beiden eine körperliche Gestalt zu verleihen und die Wunden erneut aufzureißen.
Jene rote Kavalleriestute, die nun im Sterben lag.
Sie stank nach Angst und Niederlage und nach dem nach Eisen und Blut riechenden Tod auf einem Schlachtfeld. Sie atmete mit tiefen, keuchenden Zügen, die die Erde um sie herum erbeben ließen und vielleicht sogar das ganze Land, von der einen Meeresküste bis zur anderen. Auf dass alle in Irland und auf Mona wissen sollten, dass sich im Bauch jenes Pferdes, für das das Mitglied des Ältestenrats, Luain mac Calma, einem Gefreiten von der batavischen Kavallerie einen gesamten Jahreslohn in Gold gezahlt hatte, zu Beginn der Wehen die Gebärmutter verdreht hatte; dass die Stute bis zum Morgengrauen verstorben sein würde und ihr noch ungeborenes Fohlen mit sich in den Tod nähme.
Es war zwanzig Jahre her, dass Valerius das letzte Mal die Symptome einer verdrehten Gebärmutter gesehen hatte. Damals war sein Leben noch einfacher gewesen, so dass der erschütterndste Augenblick in jenen jungen Jahren der Moment gewesen war, als seine Mutter, Macha, ihren
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