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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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meinem hölzernen Schwert im Wald auch übe, werde ich doch niemals so viel Erfahrung in echten Kämpfen gewinnen können wie sie. Wozu brauche ich also noch einen Traum, Cunomar mac Caradoc, Sohn der Bodicea? Bringt der mich dem, was ich mir wirklich wünsche, denn auch nur einen Deut näher?«
    Mit einem Mal nahm das zarte Gespinst, aus dem der Morgen zu bestehen schien, eine andere Struktur an, wurde zu grob und zu ernst, wo es zuvor noch schlichtweg vollkommen gewesen war und eine einfache Freundschaft geherrscht hatte. Und in Cunomars Welt, die lediglich aus schwarzen und weißen Tatsachen bestanden hatte, waren plötzlich zu viele Ungewissheiten aufgetaucht. Er starrte auf seine Hände hinab, dann zu dem Bussard hinauf und schließlich wieder hinunter auf seine Hände, nicht jedoch in Eneits Richtung. Vor seinem geistigen Auge manifestierte sich das Bild einer zerbrochenen Speerklinge, und in Gedanken hörte er wieder Eneits Stimme, die ihm sagte, dass sein Herz bräche, würde die Waffe nicht wieder zusammengefügt. Cunomar wollte erwidern, dass seine Mutter praktisch alles wieder zusammenfügen könne, doch die Worte wollten einfach nicht über seine Lippen kommen.
    Und plötzlich, als der Druck des Schweigens zu schwer auf ihm zu lasten begann und er ganz einfach den Klang seiner eigenen Stimme hören musste, fragte er: »Und warum haben wir uns dann auf den Weg zum Grabhügel der Ahnen gemacht, wenn nicht deshalb, um dir die Suche nach deinem eigenen Traumsymbol ein wenig zu erleichtern?«
    Eneit atmete langsam und deutlich hörbar durch die Nase aus. Nach einer Weile entgegnete er: »Natürlich um dein Traumsymbol zu finden. Oder zumindest, um dir Sinochos’ Schwert zu holen. Damit deine Mutter eine Waffe hat, die sie dir nach deinen langen Nächten in der Einsamkeit und den Speerprüfungen überreichen kann - wenn dir die Träumer dafür denn endlich mal den passenden Zeitpunkt nennen wollen und du die Prüfungen auch tatsächlich bestehen solltest.«
    Seine Stimme verlor ihre Härte und nahm stattdessen wieder jenen melodischen, leicht singenden Tonfall an, den Eneit von seiner Mutter, der Träumerin, geerbt hatte. Etwas sanfter fügte er hinzu: »Du vergisst, dass ich schließlich nicht auf Mona aufgewachsen bin. Ich habe noch nie gesehen, wie jemand nach seinen langen Nächten in der Einsamkeit wieder nach Hause zurückkehrt - den Sonnenaufgang im Rücken und in den Augen seinen ganz persönlichen Traum. Ich habe auch noch nie eine Kriegerschule gesehen oder habe hoch auf den Klippen über einer Schlacht gethront und bin Zeuge von Heldentaten geworden, die noch mehr als tausend Jahre in den Liedern weiterleben werden. Ich habe in einer anderen Welt gelebt, und die Dinge, die ich mir wünsche, sind ebenfalls andere. Wir alle haben unsere Träume. Du und ich müssen aber erkennen, dass unsere Träume uns nicht an den gleichen Ort führen werden. Und nun komm...« Er stemmte sich hoch und trat Cunomar genau auf dessen eine Fußsohle. »Steh auf. Du schuldest mir einen Schwertgurt. Und in der nächsten Bodensenke liegt auch schon der Grabhügel. Wenn du wieder Kraft genug hast, um zu gehen, beschaffen wir dir ein Schwert mit einer Geschichte, auf die man stolz sein darf. Wollen wir doch mal sehen, ob das den Träumern nicht einen kleinen Anstoß versetzt, dir endlich den Zeitpunkt für deine langen Nächte der Einsamkeit zu nennen.«
     
    Das Ahnengrab war nur halb so groß wie jener Grabhügel, in dem die Bodicea und ihre Krieger ihre Waffen versteckt hatten. Es war flach und kreisförmig, halb unter dem Sand verborgen, und in den Spalten zwischen den Steinen hatte sich Gras eingenistet, so dass man das Grab selbst aus der Nähe nur schwer von dem umliegenden, mit Gras bewachsenen Gelände unterscheiden konnte. Der Eingang war ein ehemals rechteckiges Loch. Durch die Witterung und die Menschen, die sich im Laufe der Zeit alle dort hindurchgezwängt hatten, waren die Ecken abgerundet und die Seiten geschliffen worden, so dass die Öffnung nunmehr fast eine kreisrunde Form hatte.
    Einfach nur einmal hineinzuschauen und dann wieder umzukehren stand jetzt nicht mehr zur Diskussion. Eneit ging voraus, Cunomar folgte ihm. Die Öffnung führte nicht unmittelbar zu einem Gang, so wie es in dem anderen Grabhügel gewesen war, sondern öffnete sich vielmehr in gähnende Leere hinein. Ein jeder, der hier eintreten wollte, musste sich also erst einmal hinknien und sich dann, vertrauensvoll, abstoßen, um sich das

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