Die Seherin von Garmisch
fahren
konnte. Dreieinhalb Stunden hatte er gebraucht, und nun saß er in seinem Wagen
auf diesem Parkplatz und wartete.
Die Sache war komplett aus dem Ruder gelaufen, aber
man konnte kaum jemandem die Schuld geben. Vom ersten Tag an, als plötzlich
dieser Bulle mit dem Auto im Wald aufgetaucht war, lief alles schief. Dabei
hatte es sich nach einem leichten Job angehört. Deloitte hatte den Rucksack als
Köder hingestellt, und er hatte den Mann erledigt. Nur dass es kein Mann war, sondern
ein pickeliger Teenager. Und dass er nicht alleine war.
Nun war Deloitte tot. Und er war selber schuld. Der
Blonde hatte keine Ahnung, was mit Luc los gewesen war in den letzten Tagen.
Zuerst hätte er sich fast von dem Bullen erwischen lassen, obwohl er mit der
Enduro einfach nur irgendwo ins Gebüsch hätte fahren müssen, um ihn
loszuwerden. Und als er in diesen stinkenden Probenkeller eingebrochen war, um
das Zeug für die DNS -Spuren zu
holen, hatte er es nicht geschafft, ein Feuer zu legen, das auch wirklich
brannte. Dass das Ganze dann später in die Luft flog, war das genaue Gegenteil
von dem, was man von ihnen erwartete: Unauffälligkeit.
Und am Ende hatte Luc sich von einem halbwüchsigen
Stricher umlegen lassen wie irgendein Anfänger. Vielleicht hatte er doch zu
viele von diesen kleinen roten Pillen genommen, die er immer dabeihatte.
Wie auch immer … Er schüttelte missmutig den Kopf.
Noch nie war er an einem derartigen Mist beteiligt
gewesen. Jedenfalls nicht außerhalb von Kriegsgebieten.
Eigentlich sollte nach alldem eine Extraprämie für ihn
drin sein. Aber er machte sich nichts vor. Er konnte froh sein, wenn sie ihm
überhaupt noch mal einen Job gaben. Denen war egal, dass er nichts dafürkonnte.
Immerhin würde dies hier das Ende des Jobs sein. Wenn
dies erledigt war, konnte er raus aus Deutschland, und das wurde langsam
dringend.
Der Junge hatte ihn gesehen. Und die alte Frau kannte
sein Gesicht auch, hatte der Bulle gesagt. Er zweifelte lieber nicht daran.
Bisher hatte der Bulle immer recht behalten.
Es war nicht gut, wenn jemand sein Gesicht kannte.
Denn zum einen war es fast neu – der Professor hatte gute Arbeit geleistet. Und
zum anderen war er offiziell seit einem Jahr tot. Ein Umstand, der in seinem
Beruf von großem Vorteil war.
Er sah die Landstraße entlang. Der Verkehr war dünn.
Von seiner Position aus konnte er sie bis zur Autobahnausfahrt überblicken. Er
sah jeden Wagen, der von dort in seine Richtung abbog. Langsam begann es zu
dämmern.
Und dann, wie der Bulle es angekündigt hatte, tauchte
der winzige Nissan an der Ausfahrt auf. Er blieb an der Haltelinie stehen, als
sei sich der Fahrer nicht sicher, ob er hier richtig war. Aber dann bog er ab
und kam nun direkt auf den Mercedes zu.
Der Blonde stellte die Musik aus und ließ den Motor
an. Gemächlich rollte er zur Ausfahrt des Parkplatzes. Der kleine Wagen fuhr an
ihm vorbei. Auf dem Rücksitz sah er ein Mädchen mit blonden Haaren sitzen, und
er konnte die Buchstaben GAP auf
dem Nummernschild lesen.
Er ließ dem Micra hundert Meter Vorsprung, bevor er
folgte.
Wie erwartet, bog der Nissan auf den leeren Parkplatz
des alten Waldhotels. Dessen seit Jahren vernagelte Fenster waren von dort aus
nicht zu erkennen. Er gab Gas, und der V6-Motor nahm den Auftrag gerne an. Die
schwere Limousine machte einen Satz nach vorn. In dem Moment, als die Lichter
des kleinen Wagens erloschen, hielt der Mercedes bereits neben ihm. Er griff
nach der Glock mit dem Schalldämpfer, die unter einer Zeitung auf dem
Beifahrersitz lag.
Dann stieg er aus.
* * *
Schwemmer parkte den Passat vor dem Rathaus und
überquerte die Hauptstraße. Die sinkende Sonne leuchtete den Ort in
honigfarbenem Frühlingslicht aus.
Bredemaier saß in der hintersten Ecke der kleinen
Kneipe zwischen der Nachtbar und dem Irish Pub. Er sah Schwemmer mit melancholischem
Lächeln entgegen.
»Sie haben geflunkert«, sagte er, als Schwemmer sich
setzte.
»Und Sie haben’s gemerkt.«
Bredemaier hatte ein Helles vor sich stehen. »Trinken
Sie was?«
»Keinen Alkohol«, sagte Schwemmer.
»Das ist vernünftig«, sagte Bredemaier ernst. »Sehr
vernünftig.« Er nahm einen Schluck Bier und wischte mit dem Handrücken über die
Lippen. »Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber mit dem Bier hier bei Ihnen
werd ich nicht so recht warm.«
»Warum sollte ich das persönlich nehmen?«, fragte Schwemmer.
»Ist doch nicht meine Brauerei.«
»Gott sei Dank.« Bredemaier winkte die
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