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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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Blick fuhr den möglichen
Fluchtweg durch den Raum ab. Langsam näherte sich seine Rechte der Knopfleiste
seines Jacketts.
    »Versuchen Sie’s«, sagte Schwemmer und entsicherte die
Walther, die er unter dem Tisch in der Hand hielt. »Versuchen Sie’s, und ich
knall Sie ab.«
    Er hatte nicht geglaubt, dass er einen solchen Satz
einmal aussprechen würde.
    * * *
    Der Blonde warf noch einen prüfenden Blick auf die
Landstraße. Sie war leer, kein Mensch und kein Auto weit und breit. Dann ging
er ohne Eile um seinen Wagen herum. Als er direkt vor dem Micra stand, hob er
die Glock mit dem Schalldämpfer und zielte auf die Frau hinter dem Steuer.
    Doch dann rief jemand seinen Namen.
    »Føsdergård!« Eine Megafonstimme, vom Waldrand her,
hinter ihm. »Ein halbes Dutzend Waffen ist auf Ihren Kopf gerichtet. Lassen Sie
die Waffe fallen!«
    Sein Gehirn brauchte weniger als eine Sekunde, um eine
Entscheidung zu fällen. Er hechtete über die Motorhaube hinweg, dabei hörte er
das Pfeifen von Kugeln, die ihn knapp verfehlten. Er rollte ab, in die relative
Deckung zwischen den beiden Wagen. Sofort riss er die Fahrertür des Kleinwagens
auf. Wenn er die alte Frau als Deckung benutzte, würde er eine Chance haben.
    Doch als er in den Wagen sah, blickte er in den Lauf
einer Neun Millimeter. Die Frau auf dem Fahrersitz war nicht alt. Sie war Mitte
zwanzig, trug eine graue Perücke und eine schusssichere Weste.
    »Fallen lassen«, sagte sie. »Hände hinter den Kopf.«
    Er war Profi. Er wusste, wann er verloren hatte. Er
gehorchte.
    Von hinten näherten sich die Schritte schwerer
Stiefel. Jemand riss ihn hoch und legte ihm Handschellen an. Er sah, dass der
Mann auf dem Beifahrersitz ebenfalls eine Perücke trug und auf dem Rücksitz
eine lebensgroße blonde Puppe festgeschnallt war.
    Man schob ihn auf den Platz hinaus, der nicht mehr
leer war, sondern von Polizisten in dunkelblauen Jacken mit der Aufschrift BKA wimmelte. Ein großer Mann steuerte
seinen Rollstuhl auf ihn zu. Die Zigarette in seinem Mundwinkel verbreitete
einen widerwärtigen Qualm.
    »Føsdergård«, sagte der Mann. »Ich hätte nie gedacht,
dass ich mich mal freuen würde, dass Sie noch leben.«
    Mit einer Handbewegung gab er Order, ihn
abzutransportieren. Jemand schob ihn vorwärts auf einen großen Audi mit
verdunkelten Scheiben zu. Føsdergård legte den Kopf in den Nacken und sah
hinauf in den purpurnen Himmel.
    Über ihm kreiste ein großer Greifvogel. Ein Adler,
vielleicht.
    * * *
    Es war kein schöner Anblick. Ohnehin war die
Einrichtung der Villa nicht nach Schwemmers Geschmack, zu viel dunkles Holz,
kombiniert mit zu vielen dunklen Ölschinken und zu vielen ausgestopften Tieren.
Aber der halbe Quadratmeter Wand, vor dem Zehetgruber in seiner letzten Sekunde
gesessen hatte, wäre in keinem Ambiente angenehm anzuschauen gewesen.
    Die Leiche lag jetzt vor dem Sessel, und Schwemmer war
ganz froh, dass Dräger noch niemanden hineinließ. Es gab dort ohnehin nichts
Sinnvolles für ihn zu tun.
    Dräger würde alles daransetzen, um nachzuweisen, dass
es kein Selbstmord war. Trotz der Jagdflinte auf dem Schoß des Opfers, trotz
des Abschiedsbriefs. Vielleicht würde es Dräger sogar gelingen. Vielleicht
könnte er sogar nachweisen, dass es Føsdergård war, der Zehetgruber umgebracht
hatte.
    Aber für was?, dachte Schwemmer. Føsdergård würde eine
milde Strafe bekommen, wenn er Frohnhoff den Maulwurf im BKA nannte: Bredemaier – ohne den
Zehetgruber noch leben würde. Und Bredemaier würde eine milde Strafe kriegen,
denn der würde Frohnhoff einen der Mafia-Hintermänner liefern – einen der
kleineren. Und der würde …
    Schwemmer rieb sich den Nacken. Schafmann trat zu ihm
und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Jetzt mach dir bloß keine Vorwürfe«, sagte er, als
Schwemmer ihn ansah. »Und nein , ich habe keine Zigarette.«
    »Ich hätte das verhindern müssen«, sagte Schwemmer.
    »Und wie?«
    »Es reicht eben nicht immer, eins und eins
zusammenzuzählen. Wir müssen auch mit drei und vier rechnen können.«
    Schafmann sah ihn von der Seite an. »Und wen hättest
du gern gerettet? Den verdienten Wissenschaftler, den Perversen oder den
Mafiadoktor?«
    »Solche Unterschiede zu machen gehört nicht zu unserm
Job«, sagte Schwemmer.
    »Leider wahr«, murmelte Schafmann.
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Warum macht einer wie der Bredemaier so was?«, fragte
Schafmann dann. »Der kommt aus gutem Hause, hat ein Vermögen geerbt … Der hat’s
doch echt

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