Die Seherin von Garmisch
verstehen, den Lortzig. Er hat ja wirklich
schlechte Erfahrungen gemacht.«
»Was hättest du denn getan, an seiner Stelle?«
»Damals? Weiß nicht. Aber bestimmt hätte ich heute
nicht hier angerufen.«
»Was machst du, wenn sich herausstellt, dass sie recht
hat?«
»Hat sie ja nicht. Da oben gibt es keine Spur eines
Verbrechens … Glaubst du als Psychologin etwa an so was?«
Burgl lachte. »Fünfundsiebzig Prozent der deutschen
Bevölkerung geben an, schon mal paranormale Erlebnisse gehabt zu haben. Was
heißt also ›daran glauben‹? Es gibt unerklärliche Phänomene, so viel steht
fest.«
»Hältst du es allen Ernstes für möglich, dass sie
wirklich solche Sachen sieht ?«
»Warum nicht? Viel interessanter wäre aber die Frage, wie .«
»Sie kann sich nicht aussuchen, was sie sieht, sagte
sie.«
»Ja, das ist eigentlich immer das Problem. Diese
Menschen machen das nicht absichtlich. Es passiert ihnen. Und sie können es
nicht kontrollieren.«
»Und wer sind ›diese Menschen‹?«
»Es gibt immer wieder welche, die solche Visionen
haben oder wie immer du das nennen willst. Denk an den Irlmaier von
Freilassing. Nur so als Beispiel.«
»Himmel, das ist doch fünfzig Jahre her.«
»Mag sein. Aber der hatte immerhin eine gerichtliche
Bestätigung, kein Gaukler zu sein. Und er hat immer noch Fans.«
»Aber hat der nicht immer nur vage etwas erkannt? Die
Kindel behauptet, alles klar zu sehen. Menschen und Situation. Nur leider Ort
und Zeit nicht.«
»Es gibt halt keine Regeln für so was«, sagte Burgl
lächelnd. »Das ist bei allen Betroffenen unterschiedlich.«
»Aber werden nicht regelmäßig rationale Erklärungen
für diese Sachen gefunden?«, fragte Schwemmer.
»Oft«, sagte Burgl. »Aber nicht immer.«
Schwemmer schwieg missmutig und roch an seinem Wein.
»An der Uni Freiburg gibt’s eine Beratungsstelle«,
sagte Burgl. »Ruf doch mal da an.«
»Würden die mir was anderes erzählen als du?«
Burgl zog zweifelnd ihre Stupsnase kraus.
»Dacht ich mir. Leg dich mal aufs Sofa. Dann reib ich
dich ein.«
Er half ihr vom Stuhl hoch, und sie schlich ins
Wohnzimmer. Schwemmer ließ ihr einen Vorsprung und trank in der Zeit sein Glas
leer. Denn griff er sich Frau Kindels Flasche und folgte seiner Frau nach
nebenan.
Sie war gerade dabei, sich vorsichtig zentimeterweise
auf der Couch niederzulassen. Als sie es geschafft hatte, schob er ihr den
Pullover und das darunter befindliche Shirt hoch. Einen BH trug sie nicht, wie meist, wenn sie im Haus und unter
sich waren, und er genoss es, die Fingerspitzen über ihren nackten Rücken
gleiten zu lassen. Er öffnete die Flasche und goss etwas daraus in seine hohle
Hand. Die aufsteigenden Dämpfe trieben ihm Tränen in die Augen.
Burgl stieß ein zischendes Geräusch aus, als er die
Flüssigkeit auf ihrem Rücken verrieb.
»Kalt«, sagte sie und ein paar Sekunden später: »Jetzt
wird es heiß.«
Schwemmer rieb sanft und vorsichtig ihre Wirbelsäule
entlang, bis sich der Branntwein verflüchtigt hatte, dann wiederholte er die
Prozedur zweimal, wie Frau Kindel es verordnet hatte.
»Ich glaub, das hilft wirklich«, sagte Burgl, als er
fertig war, aber für sein Gefühl stand sie genauso langsam vom Sofa auf, wie
sie sich hingelegt hatte.
* * *
Danni war schon über eine Stunde im Bett, als sie
endlich Severins Schlüssel in der Tür hörte. Er kam herein, ohne Licht in der
Diele zu machen. Er brummte ihr einen Gruß durch die offene Küchentür zu, während
er seinen Gitarrenrucksack und die Umhängetasche abstreifte. Dann griff er nach
dem Geländer der Stiege.
»Seve, i muass mit dir redn«, sagte Johanna.
»Wieso?«, fragte er misstrauisch.
Aber er blieb stehen, und das war schon eine Menge für
sie.
»Bitte, Bua. Kimm her und mach d’ Tür zu.«
Ihr Ton war so flehend gewesen, dass er tatsächlich
gehorchte, wenngleich alles an ihm Widerspruch und Misstrauen ausdrückte. Er
kam in die Küche und drückte sich auf die Küchenbank, so weit entfernt von ihr
wie möglich.
»Mogst was essn?«
Sie wies auf den Tisch, den sie extra für ihn mit Brot
und Käse gedeckt gelassen hatte, aber er schüttelte den Kopf.
»Host denn scho gessn?«
»Ja, ja«, antwortete er abwehrend.
»Mogst a Hells?«
Er sah sie überrascht an. Eigentlich erlaubte sie ihm
nicht, zu Hause Bier zu trinken, obwohl es ihm von Rechts wegen längst erlaubt
war.
»Scho«, antwortete er.
»I a. Hol uns zwoa ausm Kühlschrank. Aber dazu muasst
was essn,
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