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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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sich vor. Er nahm ihr sanft die
Taschentuchpackung aus der Hand, zog ein Tuch heraus und gab es ihr.
    »Zerscht hob i dacht, ‘s war ois scho passiert, aber
jetzt …«
    »I hab an Spacko heut Nachmittag noch gsehn«, sagte
Severin, als sie nicht fortfuhr.
    Sie schwiegen, jeder in Gedanken.
    »Kann man des aufhaltn, was d’ da träumst?«, fragte
Severin nach einer Weile.
    »Wie meinstn des?«
    »I mein, wenn’s die Zukunft is, die du siehst, is es dann die Zukunft? Wird’s passiern? Oder ned? Kann man’s ändern?«
    Johanna schüttelte den Kopf.
    »I woaß ned. ‘s war noch nia so, dass i des hätt
versuchn könna. Nur beim erstn Moi, als i gsehn hob, wie die Bachbäuerin
gstorbn is, da hätt man was machen könna, aber der Pfarrer hats mia ja ned
glabt. Erst hintennach, da hat er’s rumgratscht. Als ois z’ spat war.«
    »Dann müsst man’s halt versuchn«, sagte Severin leise.
»Vielleicht könnt man’s verhindern.«
    »Aber wie? Mia können uns doch ned a jede Nacht drobn
in den Wald hockn … Und i bin a ned ganz sicher, ob’s da am Grubnkopf is. Oder
ned doch woanders.«
    Severin stand wortlos auf und ging hinaus in die Diele.
Er tastete die Taschen seiner Lederjacke ab, zog sein Handy hervor. Dann
drückte er auf den Tasten herum und hielt es ans Ohr. So kam er wieder in die
Küche und schloss die Tür hinter sich.
    Er schüttelte leicht den Kopf.
    »Mailbox«, sagte er, und dann, nach kurzem Zögern:
»Spacko, Chef hier. Ruf mi zruck.«
    »Chef« war sein Spitzname, das wusste Johanna – und
auch, dass er keineswegs der Chef war, weder in der Schule, noch in der Band.
Es hatte sich nur irgendwie aus »Sev« entwickelt. Der Chef der Band hieß Schibbsie,
obwohl Severin die meisten Stücke schrieb. Schibbsie kam von Schieb, Siegfried.
Johanna hatte ihn nur zweimal gesehen, und das war auch schon bald ein Jahr
her, damals, als die Buben die Band gegründet hatten. Schibbsie hatte den
Proberaum, und so war seine Position von Anfang an eine besondere. Auf Johanna
hatte er allerdings den Eindruck gemacht, als zweifle er ohnehin nicht im
Geringsten an seiner eigenen Vortrefflichkeit.
    A rechter Gschwoischädl, hatte sie damals gedacht.
    Und nun »hatte er was vor«.
    »Wie kimmst eigntlich drauf, dass der Schibbsie was
vorhat?«, fragte Johanna.
    »I glaub, des hat was mitm Petr zu tun. Des is a
Slowak, der is erst seit a paar Wochn da. Mit dem steckens immer zsamm, und
wenn i dazukomm, redens über was anders. Und glauben, i merk’s ned.«
    »Und was könnt des sei?«
    »I hab überhaupt kei Ahnung ned. I will’s auch gar ned
wissen.«
    »Muaßt denn wirklich mit dene spuiln? Gibt’s denn ned
andre Leit, die a Gitarrn ham?«, fragte Johanna leise.
    »Na!«, antwortete Severin heftig. »Des is meine Band. Mia machn meine Musik. Und des lass i mir ned kaputtmachn.«
    Severin trank aus seiner Flasche.
    »Aber jetzt, des is doch was anders …«, sagte Johanna.
»I moan, wenn dem Spacko wirklich …«
    »Noch ist ja nix passiert«, unterbrach Severin sie.
»Und i will ned mei Band riskiern, verstehst? Die Band is des Wichtigste, was i
hab.«
    Johanna schwieg dazu, sie hatte geahnt, dass er so
etwas sagen würde.
    »De Polizei glabt mia a ned«, sagte sie stattdessen.
    »Warst scho da?« Severin sah sie alarmiert an.
    »Heit Mittag … Warum schaugst so?«
    Severin antwortete nicht. Wieder vermied er ihren
Blick. Er nahm sein Handy vom Tisch und stand auf.
    »Die Bulln brauchn mir ned. I red mitm Spacko, wann er
sich meldt, dann schaun mer weiter.«

ZWEI
    Der Adler stürzt sich hinab, senkrecht, aus
riesiger Höhe. Sie hat keine Furcht, genießt den freien Fall entlang schroffer
Felswände. Drunten ein kleiner Ort. Die Häuser, eben noch winzige Würfel,
werden größer, deutlicher, unterscheidbar. Immer tiefer geht es hinab, dann
fängt der Adler den Sturz ab, gleitet weg von den Felsen, hinüber zum Ort,
darüber hinweg in einer sanften Kurve. Sie erkennt den Ort nicht, den der Adler
ihr zeigt. Die Häuser liegen friedlich in der Sonne. Sie sieht Menschen auf den
Straßen, sieht Autos und ein Fahrrad fahren. Und dann, aus dem Nichts, ein
Feuerball; vom Boden aufsteigend, von dort, wo eben noch ein Haus stand, wird
ein rot und gelb glühender Ball hochgeschleudert. Der Adler fliegt geradewegs
hinein. Die Hitze blendet sie, sie atmet den erstickenden Rauch, wird betäubt
vom Donner der Explosion.
    Dann lässt der Adler sie fallen.
    * * *
    Es war eine sanfte Berührung an der Wange, die
Schwemmer

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