Die Seherin von Garmisch
rang sich ein
Lächeln ab.
»Hat’s gholfn, da Franzbranntwein?«, fragte sie.
Schwemmer nickte. »Meine Frau ist Ihnen sehr dankbar«,
sagte er.
»Hat scho mei Muatter angsetzt.«
Weiter sagte sie nichts, sie knetete das
Papiertaschentuch zu einem kleinen Klumpen zusammen.
»Was können wir für Sie tun?«, fragte Schwemmer.
Einen Moment starrte sie auf den Papierrest in ihrer
Faust, dann sah sie Schwemmer entschlossen an.
»Warum hams des rumgratscht? Dass i hier gwesn bin.«
Schwemmer schluckte.
»D’ Leit frogn mi auf der Stroßn, ob i eane was sogn
könnt. Beim Bäcker ratschens drüber.«
Schwemmer rutschte unbehaglich in eine andere
Sitzposition. Schafmann verzog hilflos das Gesicht.
»Frau Kindel«, sagte Schwemmer und hüstelte, »Sie sind
halt immer noch eine Bekanntheit im Ort …«
»Aber wer hat’s denn nausposaunt? I ned!«
»Ich auch nicht, Frau Kindel«, sagte Schwemmer.
»Offiziell haben wir gar nichts –«
»Offiziell! Schaugns all die Leit o, draussn aufm
Gang. Starrn mi o wia a Außerirdische, bloß weil i do warten dua.«
»Falls das Gerücht durch einen meiner Mitarbeiter in
die Welt gekommen sein sollte, muss ich um Entschuldigung bitten«, sagte
Schwemmer ernst.
»Falls …«, murmelte sie und sah in ihren Schoß. »Des
nutzt mir grad gar nix.«
»Es tut mir leid, aber mehr als eine Entschuldigung
kann ich Ihnen nicht anbieten.«
Sie nickte nur, ohne jemanden anzusehen.
»Es sei denn, Sie möchten vielleicht einen Kaffee«,
setzte Schwemmer in versöhnlichem Ton hinzu.
Nun sah sie ihn an.
»Jo«, sagte sie. »An Kaffee, da sog i ned na.«
Ihr Blick wirkte immer noch verletzt, aber sie schien
bereit, seine Entschuldigung anzunehmen. Schwemmer griff zum Telefon und bat
bei Frau Fuchs um Kaffee.
»Die Haare«, sagte er dann bedauernd. »Das waren
Hundehaare. Und es war auch kein Menschenblut.«
Sie nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet.
»Warn scho arg dünn, de Haar«, sagte sie. »Da Oliver
Speck is a wieda do.«
Schwemmer lächelte erleichtert.
»Dann hat sich die Sache ja quasi von alleine
erledigt«, sagte er, bemerkte dann aber etwas irritiert die alarmierte Falte
auf Schafmanns Stirn.
Frau Fuchs kam stumm herein und stellte eine Tasse vor
Frau Kindel auf den Tisch. Ohne jemanden anzusehen und auffällig eilig verließ
sie das Büro wieder.
Frau Kindel trank einen Schluck, setzte die Tasse
wieder ab und sah unsicher zu Schwemmer.
»Könntn mir ned unter vier Augn …«
»Nein, Frau Kindel. Der Herr Hauptkommissar Schafmann
ist mein engster Mitarbeiter und mein Stellvertreter. Wenn Sie etwas mit mir zu
besprechen haben, müssen Sie akzeptieren, dass er dabei ist.«
Ihre Miene zeigte, dass sie es dann für eigentlich
hoffnungslos hielt, ihr Anliegen vorzutragen, aber sie entschloss sich dennoch,
es zu versuchen.
»De Sach is ned erledigt«, sagte sie. »Da Bua is ned
ermordet worn. Aber …«
Sie brach ab. Schwemmer fing Schafmanns beunruhigten
Blick auf, und in derselben Sekunde erkannte er, was nun kommen würde. Er
versuchte einen Ausfall.
»Aber es ist doch alles wunderbar, Frau Kindel«, sagte
er fröhlich. »Der Junge ist wohlauf, niemandem ist was passiert. Es gibt keinen
Fall. Und es gibt kein Problem.«
Noch während er sprach, wusste er, dass zumindest sein
letzter Satz Ausdruck eines frommen Wunsches war. Das Problem saß ihm gegenüber
und war nicht beeindruckt von seiner kleinen Ansprache.
Aber bevor Johanna Kindel weitersprechen konnte,
klopfte es kurz an der Tür zum Flur, und ohne auf ein »Herein« zu warten,
stürmte Kommissar Dräger ins Zimmer. Schwemmer sah ihn vorwurfsvoll an.
»Sorry, bin in Eile«, sagte Dräger nur. Er hielt ein
paar Blätter hoch. »Mein Bericht zu der Grabschändung. Wer nimmt den?«
Schafmann hob die Hand, Dräger drückte ihm die
Ausdrucke hinein und rauschte wieder hinaus.
»’s is ned erledigt«, sagte Johanna Kindel, als hätte
sie die Unterbrechung gar nicht wahrgenommen. »’s wird noch passiern. Da Bua
wird ermordet wern.«
Schwemmer schaute zu Schafmann, aber der sah aus dem
Fenster. Auch Frau Kindel vermied den Augenkontakt. Sie schwieg, als wäre alles
gesagt.
»Der Junge wird ermordet werden … Ist das alles?«
Schwemmer erhielt keine Antwort.
»Alles ist so, wie Sie es mir gestern geschildert
haben, nur ist es noch nicht passiert, sondern wird erst in Zukunft passieren?«
»Jo«, antwortete Johanna Kindel nur und sah weiterhin
niemanden an.
»Frau Kindel …«, Schwemmer
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