Die Seherin von Garmisch
Kostüm. Sogar ihre
hochhackigen Schuhe waren blau, wie Johanna stirnrunzelnd feststellte. Zwischen
den kleinen, ordentlichen Einfamilienhäusern hier wirkte die Frau arg bunt.
Eine Münchnerin, dachte Johanna.
»Kann i Eane helfn?«, fragte sie, während sie die Tür
des Nissans abschloss. Sie versuchte gar nicht, das Misstrauen aus ihrer Stimme
zu halten. Besuch von Fremden hatte in Johannas Leben noch nie etwas Gutes
bedeutet.
»Mein Name ist Isenwald«, sagte die junge Frau und
lächelte freundlich. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Unterhaltn? Zwegs wos?« Johanna warf einen Blick über
die Schulter und sah, wie im Haus gegenüber Frau Dammböck die Vorhänge ihres
Wohnzimmers zuzog.
Frau Isenwald folgte ihrem Blick. »Vielleicht können
wir woanders reden.«
»Was wollns denn überhaupts?«
Frau Isenwald sah noch einmal über die Straße, wo Frau
Dammböck stand, durch ihre blütenweiße Gardine nur halb verborgen.
»Können wir nicht hineingehen?«, fragte Frau Isenwald.
»Na«, sagte Johanna entschlossen.
Ihr war klar, über was die Frau mit ihr reden wollte,
auch wenn sie nicht wusste, warum. Aber Johanna wollte fremden Leuten keine
Dinge mehr erzählen, die besser unerzählt blieben. Selbst der Polizei nicht.
Darin hatten die Gespräche mit dem Kommissar und diesem Schafmann sie nur
bestärkt. Sie wusste, was sie wusste, und es half nichts.
»Darf ich Sie denn vielleicht zu einem Kaffee
einladen?«, fragte Frau Isenwald.
»Kaffee hob i heit gnug ghabt«, antwortete Johanna.
Aber Frau Isenwald ließ sich durch ihre
Widerborstigkeit nicht entmutigen. »Dann vielleicht ein Radler?«, fragte sie
und wies auf einen kleinen roten Flitzer, der gegenüber parkte. »Lassen Sie uns
irgendwo hinfahren, wo wir in Ruhe reden können.«
»Mei Enklin kimmt glei aus da Schul. I hab koa Zeit
ned.«
Johanna ließ die Frau stehen und ging auf ihre Haustür
zu.
»Frau Kindel!« Frau Isenwald sprach leise, aber
eindringlich. »Ich bin von der Staatsanwaltschaft. Wir müssen reden. Und ich
möcht Sie wirklich nicht vorladen müssen. Bitte.«
Johanna senkte den Kopf und schloss die Tür auf.
»Kommens halt nei«, sagte sie müde.
* * *
Die blonde Kellnerin in dem blauen Dirndl begrüßte Schwemmer
und Schafmann mit einem freundlichen »Servus« und bat sie mit einer Geste, sich
einen Platz auszusuchen.
Schwemmer sah sich um. Das »Höllentaler« in der
Ludwigstraße war um diese frühe Uhrzeit noch fast leer. Ein ältlich wirkendes
Paar saß vor zwei Halben und schwieg sich an; ihre neuwertigen Wanderschuhe
wiesen sie als Touristen aus.
Am hintersten Fenstertisch, direkt neben der winzigen
Bühne, auf der abends jemand Zither spielen würde, saß allein ein kleiner,
alter Mann, den schmalen Rücken dem Fenster zugewandt. Er trug einen dunklen
Janker und einen abgegriffenen, grauen Trachtenhut, vor ihm stand ein fast
geleertes Helles und ein Stamperl mit klarem Schnaps, das er hob und zur Hälfte
austrank.
Er sah auf, als die beiden an seinen Tisch traten.
»Herr Kunkel?«, fragte Schwemmer.
Der Mann nickte misstrauisch.
Schwemmer stellte Schafmann und sich vor. »Erlauben
Sie, dass wir uns zu Ihnen setzen?«
Kunkel zuckte die Achseln. »Was wollns denn?«
Schafmann zwängte sich auf die Bank, Schwemmer nahm
sich einen der Stühle, was keine sehr gut Wahl war, denn gerade jetzt erkämpfte
die Sonne sich den Weg durch die Wolken, und die bunten Butzenscheiben dämpften
sie nur wenig, sodass der Kunkel Bartl für Schwemmer nur als Silhouette
erkennbar war.
Schwemmer kniff die Augen zusammen. »Zunächst möchte
ich unser Beileid zum Ausdruck bringen«, sagte er zögernd.
»Wegen dem Tonerl?« Kunkel machte eine wegwerfende
Geste. »Hundertvier is gworden. Des reicht doch, oder? Is ja a schon drei Monat
her.«
»Wenn Sie meinen …« Hoffentlich sieht Burgl das später
auch mal so gelassen, dachte Schwemmer.
Die Kellnerin kam zu ihnen an den Tisch, und sie
bestellten zwei Radler.
»Was wollts denn nun?«
Schafmann räusperte sich. »Sie wissen von der Sache am
Grab Ihrer Gattin?«
Kunkel nickte düster. »Wundert mi ned.«
Er griff nach dem Stamperl und trank es leer.
»Warum nicht?«, fragte Schafmann.
Kunkel schüttelte abwehrend den Kopf. »Na. Wenn i des
offiziell mach …«
»Was denn?«
Wieder machte Kunkel diese wegwerfende Geste.
»Wenn i des offiziell mach, kriegt er mi am Wickl. Und
ihr machts ja eh nix.«
»Wer kriegt Sie am Wickel, Herr Kunkel?«,
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