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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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die Pause.
    »Und da Petr, den vergisst am bestn a«, sagte Girgl.
    »Was geht ab da drobn? Und wann?«, fragte Severin.
»Scheint ja a große Sach, wenns gleich viere dafür braucht.«
    »Groß? Na«, sagte Girgl und grinste. »A ganz a kloane
Sach is des.«
    Schibbsie machte eine ärgerliche Geste in seine
Richtung. »Ich würde sagen, wir reden morgen drüber. Auf der Probe. Wenn Spacko
dabei ist. Dann kannst du ihn selber fragen.«
    » I werd eam scho was fragn, des derfst glaubn«,
murmelte Girgl.
    Schibbsie und Girgl wandten sich zum Gehen.
    »Morgn … is es dann schon passiert?«, fragte Severin.
    Schibbsie drehte sich wieder um und sah ihn an.
Severin meinte, es hinter seiner Stirn arbeiten zu sehen.
    »Das musst du ihn selbst fragen«, sagte er schließlich
und lief dann hinter Girgl her, der auf dem Weg zum Schuleingang schon ein paar
Schritte Vorsprung hatte.
    Miteinander tuschelnd verschwanden sie im
Schulgebäude, gefolgt von noch ein paar Nachzüglern. Severin kaute nachdenklich
auf der Unterlippe. Schibbsie hatte ihn angelogen, er war sich sicher. Noch
einmal sah er auf die Straße hinaus, aber Petr blieb unsichtbar.
    »Nun, Herr Kindel«, sagte plötzlich die Stimme von Dr.
Friedrichs hinter ihm. »Brauchen Sie eine Extraeinladung? Es hat geläutet.«
    Severin nickte nur und machte sich auf den Weg zum
Eingang.
    »Heut«, murmelte er vor sich hin. »Sie machens heut
Nacht.«
    Dr. Friedrichs sah ihm über den Rand seiner Brille
nach.
    Der Kindel, dachte er. Immer am Träumen …
    * * *
    Johanna betrat die alte Pfarrkirche. Ein sehr seriös
gekleidetes asiatisches Ehepaar betrachtete die alten, verblassenden
Wandgemälde, sonst war die kleine Kirche leer. Sie kniete sich in eine Bank
weit hinten und faltete die Hände. Aber es fiel ihr kein Gebet ein, sie fand
keine Worte.
    Der Feuerball, den der Adler ihr gezeigt hatte,
entfaltete sich vor ihren geschlossenen Augen, grellgelb und dunkelrot. Sie
unterdrückte ein Zittern. Bald hörte sie, wie die beiden Touristen die Kirche
verließen, aber gleich darauf kamen andere herein, ihr Geflüster klang russisch
oder polnisch, sie wusste es nicht zu unterscheiden. Eine Weile blieb sie
knien, obwohl sie spürte, dass sie jetzt hier keinen Trost finden würde.
    Als sie das Kreuz schlug und aufstand, beachteten die
Touristen sie nicht, sie standen mit in den Nacken gelegten Köpfen vor dem
Bildnis des heiligen Christophorus. Nur ein kleines Mädchen mit frechen blonden
Zöpfen schaute sie neugierig an. Sechs Jahre mochte sie sein, aber als ihr
Blick sie traf, kam es Johanna für eine Sekunde vor, als wisse die Kleine
genau, wie es um sie stand. Doch der Moment verhuschte, das Mädchen wandte den
Blick wieder ab und sagte etwas zu seiner Mutter, etwas, das offensichtlich
nichts mit Johanna zu tun hatte.
    Mit einem Kopfschütteln ging Johanna zur Tür, ärgerte
sich über sich selbst. Nun erhoffte sie schon Beistand von kleinen Kindern.
    Am Opferstock neben der Tür hielt sie inne und wühlte
in der Tasche ihrer Windjacke. Sie tastete nach dem Zwanzigeuroschein, den Frau
Heinkes ihr aufgedrängt hatte und den sie widerwillig und achtlos eingesteckt
hatte. Sie fand ihn, halb verwickelt mit einem gebrauchten Papiertaschentuch,
glättete ihn und schob ihn dann entschlossen in den Schlitz des Opferstocks.
Dann ging sie hinaus.
    Ihr Wagen stand ein wenig entfernt in der
Lazarettstraße. Als sie an dem Bauernhof neben der Kirche vorbeiging, konnte
sie durch das Stallfenster die Kühe sehen und auch riechen. Sie liebte den
Geruch des Stalls, der jedes Mal aufs Neue die Erinnerung an ihre Jugend in
Schlattan droben wachrief. Ein Bild des elterlichen Hofs erschien dann in ihren
Gedanken, der Blick von dort auf den Wetterstein und die im Sonnenuntergang
gleißenden Schneefelder. Und das Gefühl von Heimeligkeit, obwohl sie sich genau
erinnerte, wie froh und glücklich sie gewesen war, als Theo sie fortholte von
dort droben, hinunter in den Ort, in das Haus, das seine Eltern ihm
hinterlassen hatten, und Johanna nicht mehr die Magd war auf dem Hof ihres
Vaters, sondern ihre eigene Herrin im eigenen Heim.
    Sie hatte es nie bedauert, aber der Duft nach Heu und
Tieren versetzte ihr immer wieder diesen kleinen Stich der Erinnerung, dass
vielleicht doch etwas verloren gegangen war, damals.
    Als sie mit dem Wagen in ihre Einfahrt bog, sah sie
eine junge Frau vor ihrer Tür stehen. Sie hatte schwarz gelocktes, volles Haar
und trug einen dunkelblauen Mantel über einem hellblauen

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