Die Seherin von Garmisch
den
Nacken, der sich immer noch brettsteif anfühlte.
»Hat Schafmann sich gemeldet?«, fragte er und gähnte.
»Nein.« Sie schüttelte das Plumeau noch einmal auf und
schlug dann auffordernd auf seine Matratze. »Brauchst du noch irgendwas?«
Er nannte ein paar Kleinigkeiten, die sie ihm umgehend
ans Bett brachte, dann löschte sie das Licht und ließ ihn allein.
Anders, als er erwartet hatte, schlief er nicht sofort
wieder ein. Langsam, ganz langsam nahmen seine Gedanken wieder Fahrt auf.
Zunächst lagen sie noch sehr unsortiert in seinem
Gehirn herum, aber nach und nach schälte sich der ein oder andere klar aus dem
dünner werdenden Dunst dort. Es gab etliche beruhigende:
Schafmann würde tun, was zu tun war.
Dräger würde tun, was zu tun war.
Isenwald würde tun, was zu tun war.
Und ein paar weniger beruhigende:
Hatten Drägers Leute noch einmal den Hang am Reschberg
nach seiner Waffe durchsucht? Natürlich nicht, das K 3 war mit allen
Mann in Grainau beim Explosionskrater.
EKHK Bredemaier machte, was er wollte, sprach, ohne jemanden davon zu
unterrichten, mit Johanna Kindel und jetzt auch noch mit Notburga Schwemmer.
Und dann, ganz hinten im Dunst, da, wo der sich noch
nicht verzogen hatte:
Was hatte Högewald geschrieben?
Aber das war alles nicht das, was Schwemmers Gehirn so
mühsam wieder antrieb. Das war die eine Frage, die über all den dienstlichen
Bemühungen hing wie eine blasse Leuchtreklame im Londoner Edgar-Wallace-Nebel:
Warum?
Welches Motiv konnte der Täter haben, einen Teenager
im Wald zu erschießen? Und einen weiteren Menschen mit einer Explosion zu
töten? Es war quälend, seine Gedanken durch diese weiche, klebrige Masse zu
treiben, die sein Gehirn auszufüllen schien. Er konnte nicht denken, zumindest
nicht, wie er es gewohnt war. Aber Schritt für Schritt kämpfte er sich voran,
klaubte Ideenbrösel und Intuitionskrümel auf und hatte das Gefühl, einige der
Teile tatsächlich zu etwas Funktionierendem zusammensetzen zu können.
Irgendwann kam Burgl herein und legte einige Zeitungen
und Papiere auf seinen Nachttisch.
»Darf ich Licht machen?«, fragte sie.
»Probieren wir’s halt mal.«
Sie schaltete die Nachttischlampe an, und Schwemmer
konnte es ertragen.
»Schafmann hat angerufen«, sagte sie. »Magst es
hören?«
»Wenn du langsam und leis sprichst, geht’s
vielleicht.«
»Also …« Sie nahm einen Notizblock von dem Haufen
Papier, den sie mitgebracht hatte. »Zunächst das, was er als erfreulich
eingestuft hat: Mit der EC -Karte
von Siegfried Schieb alias Schibbsie wurde gestern Nacht hier am Bahnhof Geld
abgehoben. Sie besorgen gerade das Überwachungsvideo, gehen aber davon aus, dass
er es selbst war. Foto und Beschreibung an die Bundespolizei sind raus. Severin
Kindel hat gestern Abend eine Aussage gemacht, in der er den Verdacht äußerte,
dass die drei anderen Bandmitglieder gemeinsam mit einem gewissen Petr,
Nachname unbekannt, ›irgendwas vorhatten‹, wie er das ausdrückte. Er hat aber
angeblich nicht die geringste Ahnung, was.«
»Was ist das für ein Kerl, dieser Petr?«, fragte
Schwemmer.
»Hausl, ich kann’s dir nur vorlesen, gell? Fragen kann
ich dir nicht beantworten.«
Er brummte eine Entschuldigung ins Kopfkissen.
»Dieser Petr ist erst seit ein paar Wochen im Ort.
Wohnt angeblich bei Verwandten in Burgrain. Den Kollegen ist niemand mit dem
Vornamen untergekommen in letzter Zeit. Und jetzt wird’s interessant: Petr hat
dem Severin eine Waffe gezeigt, um ihn einzuschüchtern. Gestern, unmittelbar
vor der Explosion.«
»Was für eine Waffe?«, fragte Schwemmer.
»Eine schwarze Pistole. Genauer kann er es nicht
sagen. Der Petr hatte sie im Hosenbund stecken. Immerhin hat der Severin eine
ziemlich präzise Beschreibung von Petr abgegeben. Schafmann hat Leute ins
Werdenfels-Gymnasium geschickt, möglicherweise ist er einigen Schülern da
bekannt. Phantombild ist in Arbeit.«
»Schön«, murmelte Schwemmer. »Noch mehr gute
Nachrichten?«
»Das K 3 und die Labors arbeiten rund um die
Uhr, aber vor morgen Nachmittag ist mit nichts Interessantem zu rechnen.«
»Und die schlechten Nachrichten?«
Burgl legte den Block weg. »Bist sicher, dass du die
wissen willst?«
»Nützt ja nix«, stöhnte Schwemmer. »Högewald, hm?«
»Ja. Diesmal übertrifft er sich selber.« Burgl klang
beherrscht, aber die Art und Weise, wie sie die Zeitung nahm und auffaltete,
ließ auf mächtig schlechte Laune schließen. Sie hielt Schwemmer die
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