Die Seherin von Garmisch
anbetn, oder ned?«
»Was da steht, ist haltloser Unfug, Frau Kindel. Bitte
glauben Sie mir das. Und glauben Sie besonders dem Severin. Er braucht Ihr
Vertrauen. Heute mehr denn je.«
Johanna sah ihn zweifelnd an, aber sie nickte.
Was soll ich nur tun?, dachte sie. Theo, was soll ich
denn nur tun?
* * *
Severin stand allein neben dem Aulaeingang. Niemand
stellte sich zu ihm. Er bemerkte die neugierigen Blicke. Kaum einer auf dem
Schulhof, der ihn nicht mehr oder weniger verstohlen musterte – meist weniger.
Jetzt bin ich ein Star, dachte er bitter. Der Letzte
der »Rattenbrigade«. Einer tot, mindestens, der Rest auf der Flucht. Proberaum
in die Luft gesprengt. Wenn sie nur genug Aufnahmen gemacht hätten – jetzt wäre
der Zeitpunkt, eine CD rauszubringen.
Fucking Bavarian Grindcore!
Er stieß ein böses Lachen aus.
Dem Nächsten, der ihn anglotzte, zeigte er den
Stinkefinger.
Dann kam Danni angelaufen. Sie weinte. Er ging in die
Hocke und nahm sie in den Arm.
»Was is?«, fragte er.
»Die aus der Sechsten sagen, du würdst zum Teifi
beten.«
»Wie kommn denn de auf so an Schmarrn?«
»Es steht in der Zeitung!«
»In da Zeitung?«
Er sah über ihre Schulter auf den Schulhof. Von
überall schienen ihn Blicke zu treffen. Köpfe wurden zusammengesteckt und
geschüttelt, es wurde gegrinst, auch mit dem Finger wurde gezeigt. Bei Inga und
ihrer Clique war er offensichtlich auch Thema. Eines der Mädchen richtete seine
Handykamera auf ihn. Sogar Dr. Friedrichs und Herr Riedel, die Aufsicht hatten,
schienen über ihn zu tuscheln.
»Hörst! I bet ned zum Teifi«, sagte er. »Hab i niemals
ned gmacht und werd i niemals ned tun, verstehst! Und was in da Zeitung steht,
is eh ois gelogn.«
Danni nickte und zog die Nase hoch.
»Dann sag eane des, wanns wieder an Schmarrn redn. Und
wanns dann ned stad san, dann sag eane, i würd eane schon zeign, wo da Teifi
auf se wart!«
»Des mach i«, sagte sie tapfer und lief davon.
Silvie, die mit Girgl im Lateinkurs war, kam zu ihm
herüber. Severin sah ihr drohend in die Augen, aber Silvie hob die Hand, als
wolle sie signalisieren, dass sie in Frieden käme.
»Schöne Scheiße, das alles«, sagte sie.
Severin nickte nur.
»Was meinst, wen’s da erwischt hat?«
»Da Girgl wahrscheinlich. Oder Schibbsies Onkel.«
»Weißt, dass die Bullen beim Direktor nach Schibbsie
gefragt haben?«
Severin schüttelte den Kopf. Dass Schibbsie nicht hier
sein würde, hatte er den Bullen gesagt.
»Und jetzt gehen sie durch alle Klassen und fragen
nach diesem Petr. Kennst den?«
»Flüchtig.«
Silvie sah sich um, bevor sie weiterredete. »Hast du
die Schlagzeile schon gesehen?«
»Na.«
Silvie zog eine klein gefaltete, dünne Zeitung aus der
Gesäßtasche ihrer Jeans und reichte sie ihm.
Severin faltete sie auseinander und spürte, wie seine
Kinnlade nach unten klappte.
»Des dürfn de doch ned machn!«, entfuhr es ihm.
Silvie stieß ein mitleidiges Lachen aus. »Doch«, sagte
sie. »Das dürfen die. Und sie machen es.«
»Ja, aber … Sakra, de Danni!« Severin fasste sich
hilflos an den Kopf.
»Versteh mich jetzt richtig«, sagte Silvie. »Ich will
dir nicht zu nahe treten. Nur als gut gemeinter Rat. Ich find dich nämlich ganz
okay – im Gegensatz zu Girgl und diesem Schibbsie-Arsch. Aber wenn ich du wäre,
würd ich mit dem Direktor reden und mich erst mal beurlauben lassen. Und deine
Schwester gleich mit.«
»Meinst, de machn weiter mit dem Scheiß?« Er hielt
Silvie angewidert das Boulevardblatt entgegen.
»Sie sind schon dabei«, sagte Silvie und wies mit dem
Kinn in Richtung Tor. Dort stand ein hagerer, großer Mann mit einem Gamsbart
auf dem Hut und redete mit den Schülern, von denen einer in ihre Richtung
zeigte. Silvie hatte dem Schultor den Rücken zugewandt.
»Das ist der Typ, der das geschrieben hat. Eine echte
Schmeißfliege. Das größte Arschloch, das hier in der Gegend rumläuft, wenn du
mich fragst. Gehört für meinen Geschmack eingesperrt, aber mein Geschmack ist
leider nicht gerichtsverwertbar. Ihr habt keine Chance gegen den. Haut für ‘ne
Weile ab. Und nehmt auch eure Oma mit. Die hat er nämlich auch auf dem Kieker.
Wenn der mit euch fertig ist, nimmt im Ort keiner mehr ein Stück Brot von
euch.«
»Ja, aber wieso denn?«
»Ihr seid halt die mit der Story, das reicht dem. Was
er damit anrichtet, ist ihm piepegal.«
Severin sah wieder zu dem Mann. Auch Silvie drehte den
Kopf.
»Guck mal, der Friedrichs«, sagte sie.
Auch
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