Die Seherin von Garmisch
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hin.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte er eine Sekunde
darauf, dann schloss er die Augen wieder. Nicht, weil er krank war. Sondern in
hilfloser Wut.
»Der Teufel soll ihn holen«, sagte er.
»Ja. ›Der Enkel der Seherin spielt in der
Satanistenband.‹ So erwischt er gleich zwei auf einen Schlag.« Burgl war hörbar
sauer, mindestens so wie er.
Schwemmer atmete ein paarmal tief durch. »Wir müssen
dagegenhalten«, sagte er.
»Und wie?«
»Hast du das Telefon da?«
»Warum?«, fragte Burgl vorsichtig.
»Ich muss die Isenwald sprechen. Wir müssen für morgen
eine Pressekonferenz einberufen.«
»Schafmann soll eine Pressekonferenz halten? Bei dem
heißen Eisen?« Burgl kräuselte skeptisch die Nase. »Willst du nicht lieber
warten, bis du wieder im Dienst bist?«
»Ich bin morgen wieder im Dienst.«
»Morgen wieder im Dienst?« Burgl lachte zweifelnd und
sah ihn mit einer Mischung aus Spott und Mitleid an. »Du Held!«
Schwemmer ging so souverän wie möglich darüber hinweg.
Der Ärger über Högewald hatte zwar nicht unmittelbar zur Verbesserung seiner
Verfassung beigetragen. Aber er hatte seinen Kampfgeist angestachelt.
* * *
»Ich rede morgen mit dem Direktor«, sagte Bredemaier.
»Wir werden eine Lösung finden.«
Severin und Danni hockten nebeneinander auf der Bank.
Severin starrte finster vor sich hin. Dannis Augen waren verheult.
»I geh ned wieder in die Schul«, sagte sie, ohne
jemanden anzusehen.
»Wie bist du denn in der Schule?«, fragte Bredemaier.
»Sie is guat«, sagte Severin.
»De is wirklich guat«, bekräftigte Johanna
»I hab nur eine Drei. In Musik«, sagte Danni.
Bredemaier tauschte einen Blick mit Johanna und nickte
ihr beruhigend zu. »Ich denk, morgen bleibst du erst mal zu Hause. Dann sehn
wir weiter.«
»I geh hin. Von dene Drecksäck lass i mir ned an
Schneid abkaufn«, sagte Severin.
Johanna seufzte. Ihr war, als hörte sie das Bienerl
reden.
»Würdet ihr mich denn noch ein bisschen mit eurer
Großmama reden lassen? Allein, mein ich?«
»Darf i dann fernsehn?«, fragte Danni.
»Ja, aber ned an ganzn Tag«, sagte Johanna.
Severin sah Bredemaier misstrauisch an, sagte aber nichts.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Bredemaier
lächelte freundlich.
»I mach mir immer Sorgen, wenn de Bulln im Haus san.«
Severin schob den Tisch weg, und die beiden standen von der Bank auf. Danni
ging ins Wohnzimmer, Severin nahm seinen Bass, der immer noch an der Garderobe
stand, und ging die Stiege hinauf.
»Pressefreiheit«, sagte Johanna, als sie fort waren.
»A ganz a tolle Sach.«
»Es gibt immer und überall schwarze Schafe«, sagte
Bredemaier. »Auch unter Polizisten. Und sogar unter Hellsehern.«
Johanna konnte tatsächlich ein bisschen lachen
darüber. Bredemaier zog seinen Flachmann aus der Tasche seines Mantels, den er
über seine Stuhllehne gelegt hatte.
»Sie erlauben?«, fragte er.
»Wennst moanst, des tat dir guat.«
Bredemaier schenkte sich den Schraubverschluss voll.
»Die Frage, ob mir das guttut, stellt sich mir leider nicht mehr«, sagte er und
prostete ihr mit dem erhobenen Becher zu.
»Warum hast de Kinder nausgschickt? Gibt’s doch noch a
Frag, de du mir ned gstellt hast?«
»Oh, Tausende, liebe Frau Kindel, Tausende. Ich glaube
ja, dass sie viel mehr gesehen haben als das, an das Sie sich erinnern. Viel
mehr, als Sie selber wissen.«
»I hab ois verzählt, was i woaß, von da Explosion.«
»Lassen wir die Explosion für den Moment mal beiseite
…«
Er nahm einen Schluck von seinem Scotch und begann
dann, in den scheinbar unerschöpflichen Taschen seines Kamelhaarmantels zu
wühlen. Endlich zog er einen braunen Umschlag hervor. Seine Ecken und Kanten
waren abgestoßen, er sah aus, als trage Bredemaier ihn immer mit sich herum.
Ein bisschen umständlich zog er einen Stapel Fotos daraus hervor und schob ihn
Johanna über den Küchentisch zu.
»Seien Sie doch so lieb und schauen Sie die mal durch.
Einfach so, ohne Erwartung an irgendetwas. Wenn Ihnen was auffällt, sagen Sie
es. Frei von der Leber weg.«
Johanna nahm den Stapel entgegen. Sie sah sich ein
Foto nach dem anderen an, bald runzelte sie die Stirn. Sie verstand nicht, was
Bredemaier wollte. Die Fotos zeigten ausnahmslos Männer. Männer jeden Alters,
jeder Hautfarbe und, nach ihrem Äußern zu schließen, jeder Einkommensklasse.
Das Einzige, was diese Fotos gemein hatten, war, dass die Männer offenbar nicht
wussten, dass sie fotografiert wurden. Oft stiegen
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