Die Seherin von Garmisch
Kollegen in
Marseille kam, wenn ich nicht irre …« Er steckte wieder seinen Kopf in die
Wohnungstür und sah die Leiche noch mal an. »Herr Doktor«, sagte er dann zu dem
Arzt, der gerade seinen Koffer zuklappte, »wären Sie so lieb und schauen
vielleicht mal, ob der Mann eine Tätowierung an der linken Schulter hat?«
Der Arzt öffnete die oberen Hemdknöpfe des Mannes und
zog Hemd und Jackett nach hinten über die Schulter.
»Einen Totenkopf, zwischen den Zahlen 2 und 3«, sagte
er.
Bredemaier nickte zufrieden. »So aus dem Kopf würde
ich sagen, das ist Luc Deloitte«, sagte er. »Franzose algerischer Herkunft.
Aber überprüfen Sie das bitte. Die Tätowierung spricht dafür, aber ganz sicher
bin ich nicht.«
»Hat die Täto eine Bedeutung?«, fragte Schafmann.
»Ja. Sie entstammt ursprünglich dem Marseiller
Herot-Clan. Die Tätowierung ist sozusagen das Clanwappen. Die 23 steht für das
Gründungsjahr.«
»1923? So lange gibt’s die schon?«, fragte Schafmann.
»1823, Herr Kollege. Aber es gibt den Clan nicht mehr.
In den Neunzigern, also den Neunzehnneunzigern, meine ich …«, er lachte, »wurden
die Herots in Bandenkriegen mit einem korsischen und einem marokkanischen Clan
regelrecht aufgerieben. Deloitte hat überlebt. Das sagt per se schon einiges
über ihn aus. Seitdem arbeitet er auf eigene Rechnung. Wir wissen von vier
Leuten aus der gehobenen Drogenszene, die er getötet hat, nicht nur in
Frankreich. Aber ich bin mir sicher, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist.«
»Und was macht so einer in einer
Siebenunddreißig-Quadratmeter-Sozialbauwohnung in
Garmisch-Partenkirchen-Burgrain?«, fragte Schwemmer. »Wie passt der hierhin?«
»Der Mann ist ein Profi«, sagte Bredemaier. »Er tötet
für Geld.«
»Ein Profi? Sie meinen, dieser Mann hat auch Oliver
Speck erschossen?«
»Wäre doch naheliegend«, sagte Bredemaier lächelnd.
»Finden Sie nicht?«
* * *
Sie begegneten sich auf dem Gang vor dem Physiksaal.
Auf einmal fiel ihm auf, dass sie sich immer hier begegneten, wenn er nach
Englisch zu Chemie ging. Aber er hatte sie nie beachtet. Und sie ihn auch
nicht. Er war sich sicher, dass er bemerkt hätte, wenn es anders gewesen wäre.
Diesmal blieben sie voreinander stehen. Silvie
musterte ihn erneut, seinen schwarzen Mantel und das alberne Make-up. Zwar
verzog sie etwas spöttisch den Mund, aber ihr Blick war ernst.
»Und?«, fragte sie. »Probleme?«
»Na. Da Riedl hat getan, als wär nix. Und sonst hat
sich keiner traut, was zu sagn.«
»Ich muss dich was fragen«, sagte sie ernst. »Wieso
vertraust du mir eigentlich?«
»Meinst, zweng deim Vater?«
»Zum Beispiel. Ich könnt mein Wissen doch einfach an
ihn weitergeben.«
»Wieso i dir vertrau …« Er sah sie an. Ihre Nase war
ziemlich breit, und ihre linke Augenbraue zog sich außen so seltsam nach oben,
was ihr Gesicht ein klein wenig unsymmetrisch machte. Und sie färbte ihre
mittelblonden Haare nicht, was die meisten Mädchen in ihrem Alter wohl getan
hätten.
Sie sah einfach ganz anders aus als Inga.
»Weißt was? I hab keinen Schimmer. Aber i denk drüber
nach«, sagte er und hoffte, sein Lächeln würde nicht zu albern wirken unter
seiner Maske.
»Okay«, antwortete sie nur und ging weiter. Er sah ihr
nach und fühlte sich seit Tagen zum ersten Mal wieder gut. Es hielt sogar ein
paar Momente lang an. Bis sein Handy vibrierte und Girgl sich am anderen Ende
meldete.
* * *
»Vielen Dank für Ihr Erscheinen, meine Damen und
Herren. Für diejenigen unter Ihnen, die mich noch nicht kennen: Ich bin Erster
Kriminalhauptkommissar Schwemmer, ich leite die hiesige Kriminalpolizeistation.
Hier neben mir sitzen Hauptkommissar Schafmann, der die SOKO leitet, und Frau Doktor Isenwald von der
Staatsanwaltschaft in München …«
Eine Pressekonferenz dieser Größe hatte er das letzte
Mal geleitet, als er noch in Ingolstadt war. Zwei Fernsehteams waren da. Damals
war es um die Entführung einer Schlagersängerin gegangen, die sich nachher aber
als aus dem Ruder gelaufene PR -Aktion
ihres Managers entpuppt hatte. Schwemmer war damals vom Merkur lobend erwähnt
worden. Den Artikel hatte Burgl noch irgendwo.
Sie hatten sich entschlossen, die PK durchzuziehen, obwohl wegen des Toten
in Burgrain die Lagebesprechung der SOKO hatte verschoben werden müssen. So hatten sie fast nichts in den Händen, was
sie der ungeduldig wartenden Meute hätten vorwerfen können.
Schafmann neben ihm hatte die Hände zu Fäusten
gekrampft auf den
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