Die Seherin von Garmisch
die
Handschellen ab«, sagte Schafmann.
Der Polizist nickte und befreite ihn. Schibbsie nickte
Schafmann zu; wenn man wollte, konnte man es dankbar nennen. Er rieb sich die
Handgelenke.
»Ich denke, Sie können uns allein lassen, Herr
Kollege«, sagte Schafmann, und der Polizist ging hinaus.
»Is des de Tele, da im Koffer?«, fragte Severin.
»Klar«, sagte Schafmann.
Schibbsie reckte den Kopf, um einen Blick zu
erhaschen.
»Dürfn mir mal schaun?«
»Ja«, sagte Schafmann nur.
Er stand auf, legte den Koffer auf seinen Schreibtisch
und klappte ihn auf. Severin stand auf, und auch Schibbsie erhob sich, aber
Schafmann hielt sie beide mit erhobenem Zeigefinger auf Distanz.
»Nur gucken. Nicht anfassen«, sagte er.
Er hatte nicht gelogen, was den Zustand anging. Die
Gitarre sah aus wie aus dem Ei gepellt. Die Frühlingssonne fiel durch das Fenster
und ließ das Blau des Korpus strahlen. Aus der Distanz war nicht ein Kratzer zu
erkennen. Am Steg war das Metall ein bisschen angelaufen, das war alles.
»Nicht viel gespielt worden«, murmelte Schibbsie.
»Stimmt«, sagte Schafmann.
»Warum nicht?« Schibbsie sah ihn skeptisch an.
Schafmann bekam einen leicht melancholischen Ausdruck.
»Aus Liebe?«, sagte er und grinste schief.
Schibbsie nickte verstehend.
Schafmann hatte den Koffer gerade wieder zugeklappt,
als es klopfte und Kommissar Schwemmer eintrat. Er trug eine dicke grüne
Kunststoffmappe in der Hand und machte einen sehr schlecht gelaunten Eindruck.
Er trat an den Schreibtisch und besah den Koffer.
»Ist das die Gitarre?«, fragte er, und Schafmann
klappte den Koffer wieder auf.
»Hübsch«, sagte Schwemmer. »Was kost denn so was?«
»Kommt drauf an«, sagte Schibbsie.
Schwemmer sah ihn fragend an. »Auf was?«
Schibbsie zuckte die Schultern, sagte aber nichts
mehr.
Schwemmer grinste böse. »Und ich dachte schon, er
könnte sprechen«, sagte er zu Schafmann.
Severin trat näher heran.
»Darf i de mal rausnehmn?«, fragte er.
Schafmann erlaubte es ihm mit einer Geste. Er nahm die
Gitarre und schlug einen Akkord. Die Saiten waren alt, aber sie spielte sich,
wie es sein musste. Er hielt sie hoch und peilte den Hals entlang, der
pfeilgerade war. Das Griffbrett hatte minimale Gebrauchsspuren. Dann
begutachtete er die Metallteile, die auf den ersten Blick tatsächlich original
waren.
»Müsst man mal über Verstärker hörn«, sagte er.
Schibbsies Blick hing an der Gitarre. Severin wusste,
dass er genau von diesem Modell träumte. Er hatte schon zwei Strats und drei
Gibsons aus den Sechzigern und Siebzigern, aber eine Telecaster fehlte ihm
noch.
»Na, geben Sie sie ihm schon«, sagte Schafmann, und
Schibbsie griff sofort nach dem Instrument. Severins Blick fiel auf ein Blatt,
das im Koffer unter der Gitarre gelegen hatte. Er nahm es und las.
NICHT MEIN BIER
Riff:
E E(G) // E D
Es ist nicht – es ist nicht, dass du verlierst (2x)
A
Es ist nicht, dass du jetzt leidest
G
Es ist nicht, dass du noch träumst
A
Es ist nicht dein schlechter Atem
NC
– Es ist das, was du versäumst
»Is des von Eane?«
»Was?«, fragte Schafmann.
»Na des da …« Severin zeigte ihm das Blatt.
»Ach das … Ja, das war ein Song von uns.«
»Was heißt NC?«
»Äh …« Schafmann nahm das Blatt und warf einen Blick
drauf. »Das heißt ›no chord‹. Also Abschlag, quasi.«
»Versteh …«
Severin nahm das Blatt zurück und las weiter.
Es ist nicht, dass du’s wieder mal verkackst (2x)
Es ist nicht, dass du so blau bist
Dass du sogar hier rausfliegst
Nicht, dass du dich auch noch vollkotzt
Es ist, dass du dich wieder mal verbiegst
Refr:
H E
Und das alles – gehört nur dir (3 x)
H A
Und das alles, alles, alles
NC
Ist nicht mein Bier
Severin lachte. »Ey,
cool.«
Schafmann zuckte die Achseln. »Ist lange her.«
»Fett, nur vier Akkorde. Könnt schon Punk sein, wenn
man’s a bisserl schnalzn lasst. Find i guat.«
Schwemmer trat zu ihm, nahm ihm das Blatt aus der Hand
und begann zu lesen.
»Wie gesagt: Ich geb Ihnen zweieinhalb«, sagte Schibbsie
zu Schafmann.
»Da muss ich drüber schlafen«, antwortete Schafmann
und nahm ihm die Gitarre ab.
Severin sah zu Schibbsie, der diesen überheblichen
Ausdruck in den Augen hatte, wie immer, wenn
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