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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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gegen das Gold; dem maskierten Gesicht des Minos’ und daran, wie lächerlich der riesige Stierkopf sich auf dem schrumpeligen Leib ausmachte. Sie brauchten einen neuen Hohepriester, dessen Aussehen seiner Rolle besser entsprach, dachte Phoebus. Jung und kraftvoll, ein Ebenbild Apis’.
    Der Mann sprach, mit hoher und lallender Stimme. Zelos legte eine Hand auf Phoebus’ Schulter. »Er ist ein ängstlicher alter Mann und spricht bisweilen Unsinn. Wir haben nichts zu befürchten.«
    Phoebus schüttelte zustimmend den Kopf, doch in seinem Hinterkopf kitzelte ein hartnäckiger Gedanke. Sie hatten alles Mögliche zu befürchten: Erdbeben, Vulkanausbrüche, Seuchen.
    Plötzlich schrie der Minos auf, brach zusammen und wand sich auf dem Boden.
    Phoebus sprang auf und beobachtete mit großen Augen, wie die anderen Priester den Alten aus dem Raum trugen.
    Die Adeligen redeten aufgeregt durcheinander und warfen argwöhnische Blicke in seine Richtung. Was war vorgefallen? Bei dem Schrei hatten sich Phoebus’ Nackenhaare aufgestellt. Er wandte sich an Zelos, dessen Gesicht aschfahl geworden war. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Wähle sie jetzt, Phoebus. Sofort!«
    Phoebus musterte die Versammelten. Es waren kränkliche, zittrige, sabbernde Männer, von denen einige kaum noch gehen konnten. Er brauchte frisches Blut!
    »Wir treten in ein neues Zeitalter ein!«, rief er aus. »Ein Zeitalter des Wachstums und des Wohlstandes, wie es dieses Land noch nie gesehen hat!«
    Am besten, er nahm sich einfach das Herz und offenbarte ihnen seine Eroberungspläne, dachte Phoebus.
    »Wir werden nicht länger um das feilschen, was wir haben wollen; wir werden darüber herrschen! Ägypten duckt sich in
    Angst vor uns!
    Die Städte Kanaans können uns als Marktkorb dienen! Es ist mein Wunsch, dass rund um dieses Meer jedes Volk Aztlan Untertan sein soll!«
    Der donnernde Applaus, den er erwartet hatte, blieb aus. Verdutzt schweigend starrten sie ihn an. Keiner dieser Männer teilte seine Vision von einem neuen Aztlan.
    Ein Priester kam kreischend hereingelaufen. »Minos ist tot! Minos ist tot!«
    »Was hast du getan?«, zischte Zelos. »Der Hohepriester ist tot? Du musst dich auf der Stelle entscheiden, sonst lassen sie dich allein!«
    Phoebus sollte sein Königreich verlieren, ehe er es überhaupt geerbt hatte?
    »Haben wir noch einen Stier?«, fragte Phoebus.
    »Noch einen?«
    »Ja, noch einen heiligen Apis-Stier?«
    »Natürlich! Triff deine Wahl, Phoebus.«
    Phoebus setzte sich hin und nahm das erste Stück der durchlöcherten Hirnmasse. Es symbolisierte die Macht des Finanzministers. Phoebus aß es auf. Alle richteten sich in ihren Stühlen auf, und Phoebus musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Sie waren sich über seinen Affront im Klaren. Als Nächstes griff er nach dem Stück für den Minister für öffentliche Güter. Phoebus verspeiste es.
    Das für den Barkenminister verspeiste Phoebus; das für den Kanalminister verspeiste er.
    Hatten sie jetzt kapiert?
    Machttrunken erhob er sich. »Ich bin Hreesos. Ich bin Herrscher über Aztlan. Ich werde mit euren Söhnen regieren.« Phoebus ging hinaus, dorthin, wo zuvor auch die Priester verschwunden waren. Ein weiterer schweigender Priester erwartete ihn und führte ihn zu einem Tunnel. Noch einem Tunnel. Phoebus war heiß, doch er fühlte sich unbesiegbar. Der Priester öffnete eine weitere Tür, und Phoebus trat hindurch. Der Gestank von Dung stach ihm in der Nase, und er blickte den Gang in beide Richtungen hinunter.
    Dort, im Sonnenschein, stand eine Nymphe.
    »Du!«, rief er. Sie blickte auf, eine Gestalt in der Ferne. »Komm her!«, befahl er. Er würde beweisen, dass er sich Apis’ Fruchtbarkeit einverleibt hatte, auch wenn der Minos gestorben war. Er würde ihr ein Kind machen; nur um Ileana zu ärgern.
    Das war die Lösung, wurde ihm mit einem Schlag klar. Er würde sich an ihr rächen; er würde sich seiner Stiefmutter verweigern! Wenn sie bis zum nächsten Monddunkel nicht schwanger war, würde sie ins Labyrinth geschickt oder getötet. Wieder lächelte er die Nymphe an; sie wich erst zurück, dann floh sie.
    Nicht so schlimm, er würde sich in Tempeltänzerinnen ergießen, bis er sich mit Ileana traf.
    Es war die perfekte Rache: Ileana würde genau das verlieren, was ihr am teuersten war - ihren geliebten Thron.
    Das machttrunkene Lachen des neuen Hreesos hallte durch die obsidianschwarzen Tunnel.
    Die Bürger schwelgten in Blut.
    In dem Gestank, der Zähigkeit, der Weihe, die

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