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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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es ihnen verlieh. Auch wenn Apis ihr Gott war, so herrschten sie doch über diesen Gott, denn sie konnten ihn vernichten und verspeisen.
    Der Stier des Frühlings wurde vom Löwen des Sommers verschlungen.
    Der Tag verblasste, doch die Menge wurde noch fröhlicher, denn nun zogen Straßenhändler mit gewürztem Wein und Honigleckerbissen an jenen vorbei, die unverdrossen anstanden. Man hatte zu tanzen begonnen, und alle trugen die blutroten Male dieser Feier.
    Dies war Kefi: Selbstvergessenheit, Frohsinn, Lebensfreude im Angesicht des Todes.
    Das Blut des Stieres zu tragen symbolisierte einen Triumph, eine Segnung und die Erkenntnis, dass der Tod irgendwann jeden traf.
    Kefi feierte die Tatsache, dass der Tod noch nicht eingetroffen war.
    Blut war auf den mehrlagigen Röcken der Frauen getrocknet; es verklebte die sorgsam verlängerten Augenbrauen der Männer. Es war über Kindergesichter verschmiert, und selbst die Alten trugen seine Spur auf ihrer runzligen Stirn.
    Der beißende Gestank war wie Parfüm; er kochte in den Adern, während die Menschen lachten und sich vergnügten, ein Volk, das größer war als seine Götter, als sein Land, als die Erde selbst.
    Eine Stimme, eine einsame Stimme hoch im Wind, durchdrang das blutberauschte Lärmen der Menge.
    Eine Gestalt im weißen Umhang stand auf einem Sims an der Pyramide der Tage. Auf dem so genannten Ausruf, von wo aus wie durch Zauberei jedes Wort über Henti hinweg zu hören war. Die Menge verstummte, ganz Aztlan verstummte und sah zu der Frau auf, die an den schmalen Sims trat. Sie sprach klar und mit Macht.
    Der Löwe schleicht sich an,
    Sturmwolken ziehen auf,
    Finsternis, Feuer, Blut und Wasser nahen,
    Gnade winkt; flieht, indes ihr noch könnt.
    Suchet die Wahrheit, den festen Boden, denn die Macht, die ihr verehrt, wird zerstören.
    Flieht um euer Leben.
    Der Löwe knurrt.
    Flieht um euer Leben.
    Der Stier brüllt.
    Aztlan wird eine Höhle voller Gerippe sein, wenn ihr nicht hört!
    Eure Kinder werden Staub; euer Vermächtnis wird nur Asche sein.
    Der Tod naht, verkleidet als Tanz.
    Flieht!
    Aus der Menge stieg eine trunkene Stimme auf: »Die Macht der Olympier wird dich vernichten!«
    Der Bann war gebrochen, auch wenn alle die folgenden Worte der Frau hörten.
    »Dieses Land ist verflucht! Wir besitzen jede Weisheit, doch wir treten sie in den Staub! Lernt aus der Vergangenheit; unser Land wurde in Stücke geschlagen. Wir müssen jetzt fliehen, sonst werden wir in unserem eitlen Stolz ertrinken. Suchen wir den Tod? Wünschen wir, dass man unseren schwächsten Vasall einst als größte Kultur verehren wird? Flieht, Bürger, flieht!«
    War das die Sibylla? Die eine Prophezeiung gegen Aztlan aussprach?
    Man konnte sehen, wie Hreesos’ Leibgarde eine Seite der Pyramide erklomm, wo sich die untergehende Sonne im Gold ihrer Kleidung brach.
    Chloe blickte aus der eindrucksvollen Höhe des Tempels hinab, der wie ein Schwalbennest über dem Ring ging. Die Bürger waren nur als winzige Gestalten zu erkennen, und sie dachte: Ihr seid heute in Blut geboren worden. Der glatte Stein der Pyramide der Tage fühlte sich ungewohnt unter ihren nackten Füßen an, und sie spürte eingetrocknete Tränen auf ihrem Gesicht.
    Selena war tot; sie hatten getanzt, während Selena gestorben war. Diese Menschen hatten kein Herz, sie wollten einfach nicht hören, weder auf sie, noch auf den Erdboden, der unter ihren Füßen erzitterte. Sie sehnten sich nach dem Tod.
    Sie spürte jemanden kommen und drehte sich um. Eine Elle vor ihr stand ein Leibgardist mit kurz geschorenem Haar.
    »Komm mit uns, störe nicht die Feiern«, sagte er.
    Chloe nickte; sie würde nicht mitkommen.
    Er machte einen Schritt nach vorn.
    Sie machte einen Schritt zurück.
    In die Luft.
    Cheftu sah, wie die Gestalt im weißen Umhang rückwärts von der Pyramide der Tage stürzte. Die Menge schrie auf und stürzte wie ein Mann nach vorn; die zwei Leibgardisten blieben oben am Abgrund stehen und blickten hinunter. Nestor packte ihn am Arm.
    »Das war Sibylla.«
    Die Nachricht traf Cheftu wie ein Tritt in den Magen, und er zischte vor Schmerz auf. Die beiden Männer drängten schnell nach vorn, während sich die Balkons um die Arena herum leerten. Cheftu fing Gesprächsfetzen auf.
    »Wo ist sie?«
    »Ich habe sie fallen gesehen.«
    »Kela ...«
    »Ein Zeichen ...«
    »Nicht tot?«
    Ohne dass sich Nestors Griff gelockert hätte, schoben sie sich durch die dicht stehenden Schaulustigen. Cheftu erstarrte, als er den

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