Die Seherin von Knossos
Seine Nachkommen bevölkerten das Land vom Kaspischen Meer bis zu den Griechischen Inseln.«
»Griechenland wurde genau genommen von Japheths Sohn, Noahs Enkel Jawan bevölkert«, sagte Clyde. »Auf Hebräisch heißt >Griechenland< tatsächlich >Jawan<.«
»Also hat einer von Noahs Söhnen die Steine gestohlen?« Clyde zuckte mit den Achseln. »Es ist nur eine Legende. Es gibt keinerlei Belege dafür.«
»Und Noah soll damals mit diesen Steinen den göttlichen
Wetterbericht abgefragt haben?« Cammy lachte vorsichtig.
»Man sollte meinen, dass diese Wetterberichte genauer waren als die von heute«, meinte Jon.
»>Die weiteren Aussichten: Regen<«, griente Brian. »>Jede Menge Regen.<«
Lisa lachte. »>Und zwar wochenlang. Lassen Sie Ihren Rasenmäher im Schuppen, der Boden ist total aufgeweicht.<« Cammy zweifelte. War es möglich, dass Renfrock tatsächlich diese Urim und Thummim gefunden hatte? »Ist es ...?«
»Nein. Es waren religiöse Glücksbringer, wahrscheinlich nur ein paar besonders hübsche Steine, und David hatte unschlagbares Glück, darum hat sich die Legende gehalten«, fiel ihr Clyde ins Wort. »Wenn Renfrock überhaupt was gefunden hat, dann nur -«
»- ein paar Kiesel«, schlug Brian vor.
Die Unterhaltung bewegte sich von dem Zeitungsartikel fort, und die Gruppe diskutierte, welche Möglichkeiten sich ihnen boten, solange die Ausgrabungsstätte geschlossen blieb. Da kein Ende der Schließung abzusehen und es mitten in der Ausgrabungssaison war, würde sich das Team aufsplitten. Camille und ihre Schwester Chloe würden am Monatsende aus Kairo in Richtung Santorin abfliegen, um sich auf der griechischen Insel in der Villa der Kingsleys mit ihren Eltern zu treffen. Cammys Mom würde ebenfalls hinkommen, direkt von ihrer neuen Ausgrabungsstätte in der Ägäis. Cammys Dad war noch in Verhandlungen, niemand wusste genau wo. Brian würde nach Melbourne zurückkehren, Lisa nach Chicago, und Jon setzte sich in die Türkei ab. Clyde hatte in letzter Minute bei einem Team in Israel einsteigen können.
Wenn sie sich nur nicht an der Decke festgehalten hätte, wenn die Höhle nur nicht eingebrochen wäre - Camille kämpfte erneut gegen ihr schlechtes Gewissen an. Sie gab sich alle Mühe, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, und wünschte allen viel Glück. Alle gingen, bis auf Clyde. In letzter Zeit hatten sie angefangen, miteinander Karten zu spielen. Cammy konnte die Karten in ihren Gips stecken und mit den noch beweglichen Fingern der rechten Hand eine Karte auswählen und abwerfen. Clyde war ein guter Unterhalter, und sie gab ihm während des Spiels Arabisch-Nachhilfe. Fatima war während seiner Besuche ständig in Chloes Zimmer, schüttelte Kissen auf, brachte ihnen Tee oder servierte ihnen mit schüchternem Lächeln Gebäck.
Cammy hatte schon zwei Spiele verloren, als Chloe hereinkam.
Clyde war bis über den Blondschopf in Cammys Schwester verliebt. Unter normalen Umständen wäre Cammy ganz aus dem Häuschen gewesen. Doch im vergangenen Jahr hatte Cammy ihre Schwester nicht besonders gut leiden können. Von der Nähe, die sie einst geteilt hatten, war nichts mehr zu spüren, ausgerechnet jetzt, wo Cammy ihre Schwester besonders nötig gehabt hätte.
»Wie geht es dir?« Chloe hauchte einen Kuss auf Cammys Wange. Sie trug einen knappen Rock, hochhackige Schuhe und ein hautenges Top. Selbst in den Vereinigten Staaten hätte man ihren Aufzug für freizügig und gewagt gehalten, hier im Nahen Osten war er ein absoluter Skandal. Chloes kulturelles Fingerspitzengefühl war ihr gemeinsam mit ihren künstlerischen Fähigkeiten, ihrer Gutmütigkeit und der sardonischen Zunge abhanden gekommen. Das lange rote Haar fiel ihr über die Schultern, und Lippenstift wie Eye-Liner unterstrichen eine Sinnlichkeit, die Cammy bis vor kurzem nie an ihrer Schwester wahrgenommen hatte.
Clyde verstummte. In Chloes Gegenwart verschlug es ihm regelmäßig die Sprache. Sein Hals lief rot an, und auf seiner Oberlippe perlte Schweiß. Eine weiche Hand auf seiner Schulter, eine zweite auf dem Knie, und er ließ wie elektrisiert die Karten fallen. Seit Wochen verfolgte Cammy dieses Drama schon. Hatte Chloe schon immer diese Wirkung auf Männer gehabt? Eigenartig, doch manchmal hatte Cammy das Gefühl, als würde eine Fremde hinter Chloes Augen hervor die Welt beobachten.
Von allem, was sich im letzten Jahr verändert hatte, waren die Veränderungen in Chloe am merkwürdigsten. Etwa vor einem Jahr hatte die Familie
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