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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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übergeben.«
    Der Priester nickte widerstrebend, ohne die Hand auch nur ein einziges Mal von seinem Amulett zu nehmen.
    »Nein, warte«, sagte User-Amun. »Heute Nacht. Wir tun es heute Nacht.«
    »Wo soll sie bis dahin bleiben?« Furchtsam wich der Priester vor dem Leichnam zurück.
    »Ich bin schon für den Mann verantwortlich, darum bleibt die Frau bis Mitternacht in deiner Obhut.«
    »Wieso ist das nötig?«, flüsterte der Priester.
    User-Amun drehte sich in der Tür um. »Ihr Ka wird nicht in diesen Körper zurückkehren. Sollten stattdessen Khaibits oder Khefts von ihr Besitz ergreifen, könnten sie ihrem Leib Ukhe-du-Leben einhauchen.«
    Der Priester erbleichte. Ukhedu war ein bösartiges Gift. Es erfüllte den Körper, wenn jemand krank war. Medikamente und Gebete rangen mit dem Ukhedu um die Gewalt über den Körper. Alles Böse im Menschen ging von Ukhedu aus. Es brachte Wahnsinn, Zerstörung, einen grausamen Tod. Ein Körper unter der Herrschaft des Ukhedu würde die Ma’at, die universelle Balance, aus dem Gleichgewicht bringen.
    Sobald der Sem-Priester auf der anderen Seite der Tür war, verbarrikadierte er sie. Mit zitternden Fingern drückte er sein Siegel ins Wachs, damit niemand den Raum betreten konnte. Zwei W’rer-Priester wurden abkommandiert, User-Amun mit den Überresten des Mannes zu helfen. Gemeinsam schlugen sie den Weg zum Haus der Ewigkeit ein.
    »Herr! Herr!«
    User blieb stehen. Sie hatten eben die Lehmziegelmauern des Tempel-Tenemos hinter sich gelassen, den eingewickelten Körper des Opfers zwischen zwei kahl geschorenen Priestern schaukelnd. Ein W’efo-Priester kam angelaufen. Kuhdung und Schlamm bedeckten seine Füße und Hände, und hastig kreuzte er zum Zeichen der Ehrerbietung einen Arm vor der Brust.
    »Ja?«, knurrte User.
    »Dies hier habe ich gefunden, Herr. Es hat unter dem Mann gelegen, zwischen ihm und der Frau.«
    Widerwillig nahm User das schlammige Etwas entgegen. Mit zur Schau gestelltem Ekel wischte er es trocken, dann wurden seine Augen groß.
    Ein Ring. Weißes und gelbes Gold waren miteinander verwoben, und in jeder Schleife war ein kleiner Bernstein oder Zitrin eingearbeitet. »Zu klein für einen Mann«, stellte User fest. Der Priester zog die Schultern hoch, bekreuzte sich erneut und lief zum Tempel zurück.
    Nachdenklich schob User den Ring in seine Schärpe und ließ die Priester dann weitergehen.
    Noph war unter der Hungersnot kaum wiederzuerkennen. Zwar stand die Zeit des Keimens unmittelbar bevor, doch kein Rekkit konnte auf sein Ackerland gelangen. Der Nil war noch einmal über die Ufer getreten, und auf den Feldern stand das Wasser, sodass es unmöglich war, etwas auszusäen. Früher im Jahr hatten Ratten die Stadt heimgesucht. All die dünnen Katzen, die jede von Re vergönnte Stunde auf die Jagd gegangen waren, hatten das Ungeziefer nicht ausrotten können.
    Dutzende Menschen waren gestorben; noch mehr lagen krank darnieder.
    Dann waren die Insekten gekommen. Sie schwärmten über den stehenden Gewässern aus und griffen schließlich die Menschen an. Kein Haus, kein Mensch war sicher vor ihnen. Fast jeder litt auf Grund der von den Mücken übertragenen Krankheiten unter eiternden Schwären. Wieder waren die Menschen zu Dutzenden gestorben.
    User war froh, dass er so alt war. Die beißenden Insekten in-teressierten sich nicht für seine ledrige Haut und sein saures Blut. Auch wenn seine Knochen ächzten und seine Zähne abgefault waren, konnte er sich immer noch bewegen; und so arbeitete er, brachte Hilfe, wo er konnte, und mischte Kräuter für jene, die kräftigere Heilmittel brauchten.
    Sie überquerten den Markt. Während früherer Überschwemmungen war dies immer ein Vergnügen gewesen: Kinder und Tiere, dicke und dünne Rekkit, Mütter mit Babys, Väter mit ihren Waren. User schüttelte den Kopf. Ägypten lebte noch, doch sein Ka war geschwächt, weil frisches Obst und frisches Gemüse fehlten. Leben erzeugte Leben.
    Osiris sei Dank für Pharaos, ewig möge er leben! Weisheit und Eingebung, denn Pharao hatte während der fruchtbaren Überschwemmungen den gesamten Überschuss eingelagert, um ihn nun während dieser Überschwemmungen des Hungers mit den Rekkit zu teilen.
    Der eindrucksvolle Bau des Hauses der Ewigkeit nahm eine ganze Straßenseite ein. Die weiß gekalkten Wände und Säulen mit ihren Papyrus-Kapitellen in Rot, Blau und Grün zeigten die beabsichtigte tröstende Wirkung. User winkte den Priestern, die ihm daraufhin zum

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