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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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unmöglich war, den Blick abzuwenden.
    In normaler Stärke glich die Farbe den Lupinen, die in vereinzelten Büscheln überall auf dem Berg wuchsen. Je nach Verdünnung changierte das Blau zwischen ägyptischem Lapis und Türkis und wurde oft als Glasur für Töpferwaren hergenommen. Extrem verwässert wirkte die Farbe so bleich und rein, dass sie ausschließlich Kindern vorbehalten war, und so zerbrechlich, dass die Schale eines Vogeleis sich im Vergleich dazu schwergewichtig ausnahm.
    Auf Grund des Gestanks und weil sie für alle Zeiten gezeichnet waren, heirateten jene, die mit dem Azur arbeiteten, nur unter ihresgleichen. Sie brachten Kinder zur Welt und warteten dann ungeduldig darauf, dass das Erstgeborene abgestillt war, damit sie ihn oder sie an die Arbeit setzen und die jungen Hände mit den blauen Malen färben konnten.
    Unter den gepflasterten, verdreckten Straßen von Arachne, unter den dampfenden Farbkesseln und den Ballen von Leinen und Wolle heizte sich der Berg immer weiter auf. In seinen Lavakammern drängte geschmolzener Fels gegen die Last der Steine, des Bodens, der Menschen und Tiere an.
    Auf den Feldern blökten die Schafe ohne Unterlass, und die Hunde und Esel, die mit ihnen zusammen lebten, gerieten in Panik. Vögel flogen nervös in weiten Kreisen, weil ihnen der Mut fehlte, sich irgendwo niederzulassen.
    Neotne stand im Schatten des Berges am Hafen. Die Sonne hatte sich durch die grauen Wolken gebohrt. Sie zupfte an ihrem Glockenrock und krampfte die Fäuste mit den blauen Fingernägeln in den Stoff. Salzwassergischt befleckte ihr Gesicht und ihren Körper, doch sie war in Gedanken bei ihrem Sippenbruder Y’carus, einem Seesoldaten, der das Meer weit hinter den Wellenbrecherinseln befuhr.
    In seiner letzten Nachricht hatte er sie wissen lassen, dass er unterwegs nach Knossos auf Kaphtor sei. Er bekam die ganze Welt zu sehen. Sie musste jedes Mal wieder Abschied von ihm nehmen, bis ihr Auge ihn wieder erblickte.
    Immer wenn er zu seinen Blutseltern, ihren Sippengefährten, zurückkehrte, brachte er Schilderungen von exotischen Häfen und kleine Geschenke von Orten, die sie nie zu Gesicht bekommen würde, mit heim. Liebend gern wäre sie bis ans Ende
    der Welt gesegelt, hätte sie an seiner Seite sein können.
    Sie berührte einen der Ohrringe aus Alayshiya, der gegen ihre Wange baumelte, und überlegte, wo er wohl gerade sein mochte. Bekam er Angst, wenn kein Land in Sicht war? Mit einem Gebet an Kela, über ihn zu wachen, wandte sie sich der Stadt zu. Auf ihrer Einkaufsliste stand Ziegenkäse, dazu Gurken und kaphtorischer Honig. Ihre Sippenschwester Sela erwartete ihr Erstgeborenes und war, nach langem Drängen durch die Kela-Tenata, schließlich im Bett geblieben. Die gesamte Azur-Gemeinschaft wartete freudig und voller Ungeduld darauf, dass ein weiteres Mitglied ihre Reihen stärkte.
    Als ein tiefes Grummeln die Erde erschütterte, ging Neotne automatisch in die Hocke. Der Erdrüttler tanzte in letzter Zeit so häufig, dass das nichts Ungewöhnliches mehr war. Der Boden beruhigte sich wieder, und Neotne ging über den Markt. Banner aus feinstem Stoff priesen die Künste der Weber in Arachne an. Malereien an den Hauswänden, Kinder beim Spiel, Schwalben über Lilien, die Werbung eines jungen Mannes um ein Mädchen, kündeten von den Vorlieben und dem Talent der dort wohnenden Künstler. Auf den Marktständen glitzerte der Schmuck. Parfüms in exquisiten AlabasterFläschchen sollten die Käufer in Versuchung führen, die Duftwasser auszuprobieren und zu kaufen. Neotne tauschte Grüße mit der Parfümiere und entkorkte ein Fläschchen.
    Ein umwerfender Duft nach faulen Eiern schlug ihr entgegen. »Och!«
    »Das ist aber nicht mein Parfüm!«, protestierte die Frau.
    »Was ist es dann, Herrin?«, fragte Neotne. Das Parfüm roch erbärmlich. Der Gestank waberte durch die Luft. Sie sah die anderen Einkaufenden an. Alle waren stehen geblieben; viele kniffen sich die Nase zu und verzogen angeekelt das Gesicht. Vielleicht war es tatsächlich nicht das Parfüm, doch was sonst konnte einen derart üblen Geruch hervorrufen? Neotne verließ den Markt und ging hügelan dem Tempel zu. Sie würde für das
    Mittagessen etwas frischen Fisch besorgen und dann heimgehen. Die übrigen Sachen auf ihrer Liste konnte sie auch später besorgen.
    Der von roten Säulen getragene Bau war praktisch leer, und Neotne seufzte erleichtert. Sie wartete nur ungern. Drinnen hatten die Muschelsucherinnen den Tagesfang

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