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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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sich hörte sie Holz krachen, darum drehte Neotne den Kopf und sah, wie das Blut des Stieres das hölzerne Pier zermalmte. Sie sah Menschen unter der todbringenden Lawine verschwinden. Arachne gab es nicht mehr. Sela, das Kind, ihre Sippe, ihre Familie. Der Stier hasste sie! Sie spürte die Hitze seiner Macht, doch sie vermochte sich nicht mehr zu rühren. Ein tiefer, von hinten heranrollender Donner ließ sie erneut umdrehen.
    Das Meer!
    Eine Woge, höher als Arachnes Klippen, kam auf sie zu. Ne-otne sah auf das feurige Blut, das sie gleich umarmen würde, dann auf die brodelnden weißen Wogen. Sie tauchte in den Sand, einen Augenblick bevor das Meer auf die Lava traf und Neotne mit brutaler Gewalt weggeschleudert wurde.
    Das Wasser riss ihr die blau gefleckte Hand vom Arm, als würde es einen Faden abtrennen.
    Eine eiskalte Woge schwappte über ihn. Niko setzte sich auf und hielt sich am Bug des Bootes fest. Erstickende Dunkelheit umhüllte ihn, während er hustend Ozeanwasser und zähen Schleim aus seinen Bronchien nach oben beförderte. Er sah die Seesoldaten mit dem Segel und dem Wind kämpfen. Die Luft stank nach Schwefel. Nikos Haut juckte, doch er schenkte dem Gefühl keine Beachtung, da in diesem Moment das Boot hoch in die Luft stieg und sie um ein Haar hinausgeschleudert worden wären. Blitze und Donner zuckten über den Horizont und erhellten für einen winzigen Moment die Nacht.
    Aus dem Augenwinkel sah er in der Ferne etwas Oranges und Rotes glühen. Das Boot krachte auf die Wellen zurück. Er begann, Wasser zu schöpfen. Das Boot sank allmählich, das Wasser stand ihm schon bis zu den Knien, und Niko konnte nichts mehr sehen außer dem ofengleichen Glühen am Horizont. Das Segel riss sich los, und Niko hörte das feingewebte aztlantische Tuch im Wind flattern wie den Rock einer Tempeltänzerin.
    Das Boot wurde gedreht. Niko hielt sich mit der Kraft der Verzweiflung fest, als er spürte, wie sie in einen Strudel gerieten. Das Deck kippte zur Seite weg, Niko hörte einen Mann aufschreien, dann ein lautes Klatschen. Unter den Blitzen konnte Niko den dunklen Kopf des Matrosen auf den weißgekrönten Wellen tanzen sehen. Das Boot neigte sich erneut, und Niko spürte, wie er vom Deck hochgehoben und dann wieder auf das Holz geschleudert wurde.
    Vollkommen orientierungslos blinzelte Niko gegen den peitschenden Wind an, um sich zurechtzufinden, um irgendwelche Landmarken auszumachen. Bevor er eingeschlafen war, hätten sie eigentlich in den schmalen Kanal zwischen Delos und Paros einfahren sollen. Dort sollte sich der Karte zufolge die Insel mit den Steinen befinden. War diese feurige, zornige Masse etwa Delos?
    Die Insel glühte, als steckte sie in Talos’ Schmiedeofen.
    Rot, Orange, Gelb und Schwarz überzogen den Berghang, und nirgendwo war eine Spur von Arachne zu sehen. Das Boot tänzelte auf den Wellen. Niko war überzeugt, dass er sterben würde.
    Niko hatte noch nie über den Tod nachgedacht. Der Tod war den Alten, Gebrechlichen vorbehalten. Er war der klügste Student der je in der Skolomantie gesessen hatte. Und er würde sterben. Was nützte ihm nun all sein Wissen, dachte er verbittert.
    Das Boot wurde von den Winden und Wellen und der Schwärze dessen, was auch immer vom Himmel herabfiel, herumgeschleudert. »Hilfe!«, schrie er, die Worte gespenstisch verzerrt im aufheulenden Wind. Das Echo seiner Schreie flog hin und her. Natürlich wusste er, dass es sich dabei nur um ein Spiel der Natur handelte, aber das schloss nicht die Möglichkeit aus, dass ihn ein wandernder Skia peinigte. Auf seinen Wangen mischten sich Meeresgischt und fallende Asche, doch die verbotenen Tränen hielt Niko mannhaft zurück. War dies die Antwort darauf, dass er die Steine des großen Gottes suchte? Du verdienst zu sterben?
    Oder war dieser Sturm eine Folge von Apis’ Eifersucht? Denn der Stier kam ihm momentan wie ein lebendiges Wesen vor, eine sich aufbäumende, vor Zorn schäumende Kreatur, die nur auf Zerstörung aus ist.
    Er presste ein Ruder flach gegen den Bauch. Von den Matrosen war nichts mehr zu sehen. War er allein? Niko nahm seine Schärpe und band sich damit an dem Ruder fest. Das Holz würde ihn über Wasser halten, sollte das Boot auseinander brechen. »Bitte hilf mir!«, flüsterte er, während er zuschaute, wie der brennende Berg seine feurigen Finger ins Meer streckte.
    Das Boot wirbelte erneut herum, und Niko stürzte auf das
    Deck, an seinem Ruder festgeklammert, solange er über das glitschige Holz

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