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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Stühle waren um die runden Tische angeordnet, aber niemand saß daran. Wir rannten hindurch, weil wir fürchteten, die Stille könnte nach uns greifen.
    Sofort entdeckten wir den Nachtwächter, der mit dem Rücken zu uns in der Küche saß, Zeitung las und Kräcker aß. Er nahm die Zeitung herunter und lächelte. Am liebsten wären wir gleich wieder hinaufgelaufen, doch Charley sprach ihn einfach an. Ich kann nicht fassen, wie tollkühn sie ist. Wir anderen drei blieben eng umschlungen stehen und kicherten vor uns hin. Dann winkte Charley uns herüber. Ich musste Sofia und Lucy mitschleifen, solche Angst hatten sie.
    »Das ist Bob«, sagte Charley. »Keine Sorge, er ist okay. Er wird uns nicht melden. Er will ein Spiel mit uns machen. Wenn wir erraten, welchen Beruf er in Wirklichkeit hat, dürfen wir uns bedienen. Wir können so viel mitnehmen, wie in einen Kissenbezug passt. Cornflakes, Pop Tarts, Süßkram. Wir haben drei Versuche. Jeden Abend einen, dreimal hintereinander. Wie bei Rumpelstilzchen. Echt cool. Wer rät zuerst?«
    Wir drängten uns im Kreis. Niemand wollte zu Bob hinschauen, doch Charley war die Ruhe selbst. Sie hatte schon in der neunten Klasse mit den großen Mädchen herumgehangen, als eine Art Maskottchen. Sie ist drahtig, jungenhaft und absolut furchtlos. Es ist ihr egal, wenn man sie bei etwas Verbotenem erwischt. Ich riet als Erste. Ich war sicher, dass ich die Antwort wusste. Er ist Schriftsteller und schreibt nachts. Mein Vater arbeitete tagsüber in einer Bank und schrieb nachts Gedichte, manchmal bis zum Morgen. Selbst als man ihm Stellen als Dozent anbot, blieb er in der Bank. Es gefiel ihm dort.
    Natürlich lag ich falsch.
    Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sieht Bob ganz und gar nicht wie ein Schriftsteller aus. Er hat Geheimratsecken, dünnes, braunes Haar und trägt eine dicke Brille. Er sieht dämlich aus. Wäre er Dichter, hätte er nicht die Abendzeitung, sondern Keats oder Shelley gelesen. Alle waren sauer auf mich, weil ich einen Versuch verbockt hatte. Wir liefen nach oben. Die Köchinnen kommen morgens sehr früh, um die Frühstücksbrötchen zu backen. Sofia war wütend. Sie musste hungrig ins Bett.

Oktober
1. Oktober
    Auch der zweite Versuch, Schuhverkäufer, war falsch. Charleys bedröhnte Idee. Ich glaube, wir werden es nicht erraten. Nicht wenn wir ihm wie Rumpelstilzchen in den Wald folgen. Doch wir konnten den ganzen Tag über nichts anderes reden. Lucy will heute Abend Ernessa mitnehmen. Sie hält es für eine gute Idee. Ich habe nichts dazu gesagt.
2. Oktober
    Nun ja, wir haben unseren vollen Kissenbezug. Aber ich bin nicht in der Stimmung zu essen.
    Ernessa tauchte kurz nach Mitternacht in Lucys Zimmer auf, und wir gingen zusammen runter. Als wir in die Küche kamen, saß Bob auf dem Stuhl, las Zeitung und mampfte seine Kräcker, als hätte er sich seit drei Tagen nicht von der Stelle gerührt. Sein grauer Pullover war voller Krümel.
    Er tut immer, als würde er uns erst bemerken, wenn wir unmittelbar vor ihm stehen. Ernessa sagte kein Wort; sie stand einfach da und sah ihn prüfend an.
    »Wie ich sehe, habt ihr eine neue Freundin mitgebracht«, sagte Bob und spähte über den Sportteil hinweg. »Irgendwie ist das gemogelt. Meint ihr etwa, sie kann es besser?«
    »Wo soll denn das Geheimnis sein?«, fragte Ernessa uns. »Er ist Leichenbestatter.«
    Bob war platt. Er ließ die Zeitung in den Schoß fallen. »Sie hat Recht. Tagsüber arbeite ich im Beerdigungsinstitut meines Onkels. Ich balsamiere Leichen ein, ziehe toten Leuten Kleider und Schmuck an und schminke und kämme sie. Wie seid ihr drauf gekommen?«
    »Ich habe es gerochen, als ich in die Küche kam«, antwortete Ernessa.
    »Woher weißt du, wie es in Beerdigungsinstituten riecht?«, fragte ich.
    »Ich war in einem, als mein Vater gestorben ist. Das vergisst man nie.«
    Sie sah Bob an, während sie sprach, die anderen achteten nicht auf uns. Sie stopften schon den Kissenbezug voll. Ich hörte als Einzige, was Ernessa sagte. Ich schnüffelte und bemerkte den fettigen Geruch der Grillsteaks, die es zum Abendessen gegeben hatte. Alles war so dumm – das Essen, das Spiel, der Salzkräcker mampfende Nachtwächter.
    Ernessa wollte nichts von dem Essen. Charley auch nicht. Sie wird allmählich ganz komisch, was das angeht, weil sie ständig stoned ist. Ich weiß nicht, was die anderen vom Ausgang unseres Abenteuers hielten. Niemand sagte was. Sofia nahm eine Schachtel Cornflakes mit ins Bett. Dann stopften wir

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