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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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den Kissenbezug tief in Lucys Schrank und gingen schlafen.
    Sie hatte es gar nicht gerochen; sie hatte es gewusst, als sie den Raum betrat.
4. Oktober
    Manchmal vergesse ich, was für ein seltsamer Ort die Residenz ist. Ich habe mich so daran gewöhnt, dass mir allmählich alles normal vorkommt. Heute Abend saßen Sofia und ich im Sessel neben dem Empfangspult und warteten, dass es zum Abendessen läutete. Ich saß auf Sofias Schoß, meine Beine baumelten über die Armlehne. Miss Olivo war hinter dem Pult, wo sie den ganzen Tag sitzt, ans Telefon geht und dafür sorgt, dass die Mädchen sich ein- und austragen. Mehr macht sie nicht.
    »Mädchen«, rief sie uns in ihrem gereizten Ton zu, »sitzt nicht so da. Das gehört sich nicht für junge Damen.«
    Ich sprang auf. Miss Olivos Stimme klang, als hätte ich irgendetwas falsch gemacht, dabei saß ich nur harmlos bei meiner Freundin auf dem Schoß. Als ich aufstand, schaute Miss Olivo rasch weg. Ich starrte sie an. Sie saß am Pult, die Hände ordentlich auf der blauen Schreibunterlage gefaltet. Sie wiegte den Kopf, wie sie es den ganzen Tag lang tut, und summte lautlos vor sich hin.
    Gehörte sich das etwa?
    Es läutete, und Sofia zog mich in den Speisesaal. Sobald wir außer Sichtweite waren, brachen wir in hemmungsloses Gelächter aus.
5. Oktober
    Ich wünschte, wir könnten über Bücher oder Politik oder andere Dinge reden statt immer nur über Sex, Essen und Drogen. Das wird so öde. Alle sagen immer wieder das Gleiche. Heute Abend ging mein Wunsch irgendwie in Erfüllung. Wir saßen nach dem Essen im Aufenthaltsraum. Alle waren still. Niemand hatte etwas zu sagen. Lucy und Ernessa saßen zu zweit zusammen und redeten. Ich weiß nicht, worüber sie sprachen, wohl kaum über deutsche Dichtung. Ich bezweifle, dass Lucy überhaupt weiß, wer Rilke ist. Da meinte Sofia aus heiterem Himmel: »Ich habe ein paar Mal mit Miss Rood gesprochen und entschieden, dass das Leben letztlich doch nicht sinnlos ist. Um uns herum gibt es so viel Schönheit. Wir müssen sie nur entdecken und unserem Leben einen Zweck geben.«
    »Unserem Leben einen Zweck geben? Was redet sie dir denn da ein?«, fragte Dora.
    »Walter Pater«, sagte ich. Ich wusste, dass Sofia bereits vergessen hatte, was ich ihr vorgelesen hatte, und zitierte: »Immerfort im harten Juwel einer Flamme zu brennen, die Ekstase zu wahren, ist der Erfolg des Lebens.«
    »Genau das ist es«, meinte Sofia.
    »Dieses Zeug war schon in den 1890ern tot und begraben«, sagte Dora. »Zusammen mit Miss Rood. Lass dich nicht täuschen. Sie ist kein echter Mensch, sondern ein Fossil.«
    »Vielleicht kann uns die Kunst wirklich retten«, warf ich ein. »Sie zeigt uns, dass es noch etwas außer unserem chaotischen Leben gibt.«
    »Was hat die Kunst je für dich getan?«, wollte Dora wissen.
    Sie ist eifersüchtig auf meine »künstlerischen« Eltern. Ich hätte an diesem Punkt aufstehen und gehen sollen, aber das hätte sie ohnehin nicht kapiert. Sie war zu sehr damit beschäftigt, Sofia zu belehren, die ihr mit offenem Mund zuhörte.
    »Das Leben ist absurd. Du musst lernen, furchtlos zu sein und über diese Absurdität zu triumphieren, statt so zu tun, als sei sie nicht wahr. Du musst tun, was Nietzsche sagt, den Thyrsusstab ergreifen, tragisch sein.«
    Sofia wirkte überwältigt, als der Name Nietzsche fiel. (Sie konnte ihn nie aussprechen, geschweige denn die Bücher lesen. Aber er klingt germanisch und tief schürfend.)
    »Was zum Teufel ist der Thyrsusstab?«, rief Kiki von hinten.
    »Der rituelle Stab der Griechen«, sagte Dora, »umwunden mit einer Weinranke. Bacchus trägt ihn. Damit kennst du dich doch am besten aus.«
    »Ach ja?«, meinte Kiki.
    »Er repräsentiert Trunkenheit und Sex«, sagte Dora. »Der Thyrsus ist ein gigantischer Pimmel.«
    Alle lachten los. »Fick dich«, sagte Kiki nüchtern. Wir wissen alle, dass Kiki mit fünfzehn, vielleicht auch vierzehn, ihre Jungfräulichkeit verloren hat und schon eine ganze Menge Freunde hatte.
    Während wir über Kiki lachten und ich gerade überlegte, wie wenig ich Dora mochte, kam Ernessa zu uns herüber. Sie stellte sich genau hinter Sofia und sagte zu Dora: »Ich halte Nietzsches Ideen, wenn du sie so nennen möchtest, für ziemlich vereinfachend, um nicht zu sagen einfältig.«
    »Will heißen?«, fragte Dora, die es nicht gewöhnt ist, dass man sie herausfordert.
    »Er nimmt eine Zweiteilung der Welt vor. Ins Dionysische und Apollinische, ins Rationale und Irrationale.

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