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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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lavendelfarben. Der Teppich purpurschwarz. Ich bin mal dort gewesen, als Sofia einen Erlaubnisschein unterschreiben ließ. Miss Fraser saß am Schreibtisch. Ihr enger schwarzer Rock war über die Knie hochgerutscht. Sie trug schwarze Ballettslipper und hatte ihr rötliches Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Ihr Haar ist so dünn, dass die Kopfhaut rosa durchschimmert. Und die Wurzeln sind immer weiß. Sie färbt ihre Haare wohl dann und wann nach, aber die Farbe sieht immer rausgewachsen aus. Als sie nach ihrem Füller griff, bemerkte ich, dass ihre perfekt lackierten Nägel (ein blasser Lavendelton) so lang waren, dass sie sich vorne hochbogen. Sie sahen aus, als gehörten sie gar nicht zu ihrem Körper. Man konnte mit diesen schimmernden Nägeln unmöglich einen Füller halten. Vermutlich schrieb sie deswegen auch so unglaublich langsam. Sie malte jeden Buchstaben auf den kleinen weißen Zettel und flüsterte ihn laut vor sich hin. S-O-F-I-A C-O-N – Sie hielt inne und schaute durch ihre Halbbrille auf das Blatt. Dann packte sie es mit den Nägeln der anderen Hand, zerknüllte es, warf es in den Papierkorb und nahm einen neuen Zettel. Sie begann zu schreiben, wobei sie ausladende Kreisbewegungen mit der Hand machte. Jeder Buchstabe musste mit seinem Vorgänger und Nachfolger verbunden sein. War ein Wort zu Ende geschrieben, fügte sie sorgfältig die i-Punkte und T-Striche hinzu. Nach drei Versuchen überreichte sie Sofia schließlich den Zettel.
    Sofia wird wütend, wenn ich mich über Miss Fraser lustig mache. Sie hält sie für nett und harmlos, die beste Fluraufsicht überhaupt. Wäre Sofia auf unserem Flur, hätte Mrs. Halton nichts gemerkt. Wir sind uns einig, dass Miss Fraser traurig ist.
Nach dem Abendessen
    Heute Nachmittag war ich kurz bei Lucy und habe ihr bei den Hausaufgaben geholfen. Morgen kommt sie endgültig raus. Eigentlich will ich sie gar nicht zurückhaben.
8. Februar
    Lucy ist wieder da, sie wirkt viel kräftiger. Sie ist heute Morgen aufgestanden und hat sogar richtig gefrühstückt. Sie ist wieder ein bisschen wie früher.
    Vielleicht kommt Charley am Samstag. Wir überlegen, was wir unternehmen können. Ich glaube, Lucy ist auch dabei.
    Beim Frühstück hörte ich, wie Lucy und Kiki sich unterhielten. Ich saß am anderen Ende des Tisches und tat, als redete ich mit Carol, hörte aber die ganze Zeit zu, was Lucy sagte. Carol musste alles wiederholen. Lucy beklagte sich, Miss Bobbie sei ständig hinter Ernessa her; sie verwendete das Wort »verfolgen«. Ein gewaltiges Wort für sie.
    »Ernessa geht es in letzter Zeit nicht so gut. Nach zehn Minuten Gymnastik ist sie total erschöpft. Sie kann sich kaum bewegen. Aber Miss Bobbie lässt nicht zu, dass sie sich auch nur fünf Minuten ausruht, nicht ohne Attest.«
    »Warum geht sie nicht auf die Krankenstation und holt sich ein Attest? Das machen doch alle.«
    »Sie will nicht dahin. Sie hat Angst, sie könnten sie dabehalten. Sie ist ja nicht krank oder so. Sie fühlt sich nur schlapp.«
    »na ja, Miss Bobbie ist eben hart. Sie mag Ernessa einfach nicht.«
    Ich glaube nicht an dieses Gerede von wegen Erschöpfung. Ernessa ist unglaublich stark. Sie will sich bloß vor Sport drücken. Aber Miss Bobbie fällt nicht drauf rein. Lucy glaubt Ernessa jedes Wort. Alle anderen auch. Es ist lächerlich. Lucy macht sich Sorgen, weil Ernessa müde ist, dabei hat sie selbst eine Woche im Bett gelegen und sich noch immer nicht richtig erholt.
    Lucy ist nicht mehr das hilflose Opfer, das in seinem weißen Bett auf der Krankenstation liegt, jeden Atemzug zählt und weint. Sie braucht sich nichts von Ernessa wegnehmen zu lassen. Sie kann sich wehren. Und falls Ernessa sich etwas nimmt, hat Lucy es ihr angeboten.
11. Februar
    Die Nacht ist so lang. Mitten in der Nacht bin ich mir sicher, dass sie niemals enden wird. Meistens schlafe ich ein, wenn der Himmel heller wird. Wenn es zum Frühstück läutet, bin ich im Tiefschlaf. Mein Kopf fühlt sich den ganzen Tag schwer und dumpf an, ich kann ihn kaum aufrecht halten.
    Lucy geht es gut. An manchen Tagen wirkt sie kräftiger als an anderen, ist aber im Grunde okay. Es macht mich nervös, dass sie im Zimmer nebenan ist. Ich bin die ganze Nacht auf, horche, drehe mich hin und her, versuche ruhig zu werden. Unmöglich. Ich muss nachts fünfmal pinkeln. Ein nervöser Tick.
    Wenn ich als kleines Mädchen nachts aufwachte und Angst hatte, holte ich meinen Vater. Ich stellte mich neben sein Bett. Er lag immer auf dem

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