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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Ernessa aus ihrem Sessel in der Ecke des Aufenthaltsraums auf und wollte zu Lucy gehen, die inmitten einer Gruppe Mädchen saß. Lucy tat, als sähe sie Ernessa nicht, doch darauf fiel ich nicht herein. Etwas stimmte nicht an der Art, wie Ernessa sich bewegte. Sie wurde förmlich von Lucy angezogen. Und dann, mitten im Zimmer, hob sie die Hände, als wollte sie sich bremsen, und ging zur Tür hinaus. Das Spiel ist vorbei.
    Falls Lucy wieder krank wird, rufe ich ihre Mutter an. Es ist mir egal, wenn sie dann nie wieder mit mir redet. Ich will sowieso nicht mehr mit ihr reden.
    Jemand ist in Lucys Zimmer. Ich muss das hier weglegen.
Ruhezeit
    Ich holte mir Seltsame und phantastische Geschichten aus der Bibliothek. Ich wollte eine Passage aus Carmilla abschreiben, damit ich sie genauer studieren kann.
     
    Vampire fühlen sich häufig mit einer der Liebesleidenschaft ähnlichen Heftigkeit von bestimmten Menschen fasziniert. Dann verfolgen sie ihr Ziel mit unerschöpflicher Geduld und List, denn oft stellen sich ihnen zahlreiche Hindernisse in den Weg. Sie geben nie auf, bevor sie nicht ihre Leidenschaft gestillt und ihrem Opfer den letzten Blutstropfen aus den Adern gesaugt haben. In solchen Fällen genießen und verlängern sie mit der Raffinesse eines Epikureers ihr mörderisches Vergnügen und erhöhen es dadurch, dass sie alle Stadien einer klug durchdachten Werbung durchlaufen. Dabei sehnen sie sich sogar nach Sympathie oder Zustimmung. Gewöhnlich aber gehen sie ihr Opfer ohne Umschweife an, und oft überwältigen, würgen und vernichten sie es in einem einzigen Blutrausch.
     
    Jemand war mir zuvorgekommen. Sie hatte etwas an den Rand geschrieben: »LÜGEN!«
    Ich bin ein Hindernis, ein Baum, der über die Straße gefallen ist und entfernt oder übersprungen werden muss.
22. April
    Hat ein Vampir Gefühle?
    Kann man böse sein, wenn man allein auf der Welt ist?
    Was bedeutet der Tod für jemanden, der gestorben ist und an dieser Erinnerung festgehalten hat?
    Kann man etwas begehren, wenn man alles kennt?
    Ich schaue in mich hinein und weiß, dass ich nicht fühlen kann, was Ernessa fühlt, nicht einmal einen Bruchteil davon. Und ich liebe Lucy.
    Lucy ist an allem schuld. Sie ist schuld, weil sie so schwach ist. Sie hätte Ernessa vor all dem bewahren können. Und jetzt bin ich gezwungen, Lucy zu retten.
    Die Wacholderbeerenkette ist weg. Ich muss Lucy beschützen, ohne dass sie es merkt.
    Im Rumänien misst man auf Baustellen den Schatten, den ein Mensch an eine Wand wirft, und nagelt den Schatten dort, wo der Kopf ist, an die Wand, um das Gebäude vor Erdbeben zu schützen. Doch wenn ein Mensch seinen Schatten verliert, wird er zum Vampir. Wie grausam, einem den Schatten zu stehlen. Selbst die Griechen, die junge Mädchen opferten, um die Götter zu beschwichtigen, nahmen ihnen nie den Schatten, nur das Leben.
    Heute ist es warm draußen. Zum ersten Mal steht mein Fenster offen. Alles ist voller Leben, wenn der Wind durch die Welt weht.
Später
    Es ist ein falscher Frühling. Ich schloss das Fenster und legte mich aufs Bett, um ein Nickerchen zu halten. Es war so still, dass ich hören konnte, wie sich die Luft durch meine Kehle bewegte. Doch das Geräusch, das lauter wurde, war nicht in mir drin. Es umgab mich von allen Seiten. Das Zimmer war voller Fliegen, ihr Summen war überall. Dicke schwarze Fliegen prallten gegen die Fensterscheiben, dumme Insekten, die wieder und wieder gegen das Glas flogen. Bündel von Fliegen, dick wie Trauben. Ich weiß nicht, woher sie kamen. Sie haben die Winterstarre überstanden. Jetzt hat das Sonnenlicht sie wild gemacht. Als ich die Augen zumachte, war das Fliegengeräusch da und verdrängte alle anderen Gedanken.
23. April
Nach dem Frühstück
    Ich möchte, dass jemand Lucys Mutter anruft. Ich möchte, dass sich jemand um sie kümmert. Alle sagen, ich solle mich nicht einmischen. Mit ihr sei alles in Ordnung. Niemand will mit mir reden. Niemand will beim Essen neben mir sitzen. Sogar Sofia, die mich noch nie im Stich gelassen hat. Von jetzt an gehe ich nicht mehr zum Mittagessen. Seit Passah habe ich keinen richtigen Appetit mehr gehabt. Nach dem Unterricht gehe ich sofort auf mein Zimmer und hole mein Tagebuch heraus. Ich weiß, dass mich niemand stören wird. Alle sind unten und essen. Im Speisesaal ist so viel Lärm, Kauen und Tellergeklapper und laute Stimmen, dass ich meine eigenen Gedanken nicht hören kann. Nach dem Abendessen sitze ich im Aufenthaltsraum allein in

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