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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Bahnhof. Sogar Sofia, die die Schule immer geliebt hat, redet vom Weggehen. Es wird immer schlimmer. Das kommt daher, weil sie niemals finden werden, was sie suchen.
    Es hat viel geregnet, und die Proberäume sind feuchter denn je. Meine Hände sind so steif, dass sie beim Spielen wehtun. Ich bemühte mich sehr, mich zu konzentrieren und Miss Simpsons Anweisungen zu folgen. Sie sagt, ich mache Fehler, weil ich mich nicht konzentriere. Ich müsse meinen Willen einsetzen, um die Fehler zu überwinden. Wenn ich spiele, müsse es möglich sein, dass jemand sich anschleicht und mir auf den Rücken schlägt, ohne dass mein Spiel sich verändert. So machen sie es am Konservatorium.
    Ich gab auf. Ich konnte nicht spielen.
    Die Kellertür stand offen. Der Knauf drehte sich. Noch werde ich nicht hineingehen.
    Jede Tür ist meine Tür, nur für mich. Letztlich gehe ich immer hindurch, ob sie nun verschlossen ist oder nicht. Ich musste fest mit der Schulter gegen die Badezimmertür drücken, um sie zu öffnen. Das Bein meines Vaters blockierte sie. Die weißen Fliesen waren mit dunklem, klebrigem Blut bedeckt. Sein Kopf war auf die Brust gesunken. Er konnte das Bein nicht bewegen. Er saß und saß. Ein Atemzug war übrig, nur für mich. Das letzte bisschen Luft, das mit einem schwachen Zischen aus dem schlaffen Schlauchboot entweicht. Er wartete auf mich. Das Sonnenlicht strömte in den Raum, und es war so warm. Ich wollte mich einrollen und dort neben ihm schlafen. Stattdessen musste ich schreien und schreien und schreien, obwohl mich niemand hören konnte. Und das Geräusch ging ins Nichts; es wirbelte wieder und wieder durch den kleinen Raum.
    Eins weiß ich: Ich bin kein Opfer. Opfer kennen die Bedeutung ihres Leidens nicht. Ich bin eine Feindin oder Kollaborateurin, kein Opfer.
25. April
Zehn Uhr morgens
    Manchmal vergesse ich, dass andere Leute meine Gedanken nicht lesen können. Ich sitze beim Frühstück und trinke Kaffee, dann schaue ich mich in Panik um. Alle Mädchen am Tisch wissen, was ich von ihnen halte, spüren meine völlige und grenzenlose Verachtung. Ich kann sie nicht verbergen.
    Claire hat sie mit ihrer Besessenheit von Mr. Davies angesteckt. Sie reden nicht mehr über Bob oder den Hausmeister. Nur noch über Mr. Davies. Er ist ihr Lieblingsmonster. Sie flüstern miteinander und starren mich an, wenn ich mich allein irgendwohin setze. Ich weiß, was sie sagen. »Meinst du, er hat es vorher mit Miss Bobbie gemacht? Oder hat er sie erst zerfetzt und es dann getan?«
    Ich werde ihn nicht mehr verteidigen.
26. April
    Heute bin ich nach der Schule zu Mr. Davies gegangen.
    Ich wollte ihm sagen, was man über ihn erzählt, konnte es aber nicht. Stattdessen redete ich über die Mädchen.
    »Sie werden sich wieder beruhigen«, meinte Mr. Davies. »Irgendwann läuft in der Schule alles wieder normal.«
    »Sie können sich nicht beruhigen. Sie können es nicht, weil der Mensch, der das getan hat, noch nicht fertig ist. Sie hat noch ein Opfer, wegen dem sie hergekommen ist. Die anderen waren ihr bloß im Weg.«
    »Der Mensch, der das getan hat?«, fragte er. Ich glaube, seine Verwirrung war gespielt.
    »Ernessa Bloch.«
    »Noch ein Opfer?«
    »Lucy Blake.«
    Er wartete ab. Ich wusste, dass er wusste, was ich ihm erzählen würde.
    »Lucy wird wieder krank. So wie vor den Frühjahrsferien. Sie ist sehr schwach. Morgens kommt sie nicht aus dem Bett. Sie kann nichts essen. Letztes Mal wäre sie beinahe gestorben. Ernessa lässt nicht zu, dass sie ihr Lucy noch einmal wegnehmen. Ich möchte Lucys Mutter anrufen, aber die anderen sagen nein. Sie sagen, ich solle mich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen. Sie glauben, Lucys Tod gehe nur sie selbst etwas an. Ihnen ist egal, was danach aus ihr wird.«
    Ich hätte den Mund halten sollen. Aber ich konnte nicht. Die Worte drängten aus mir heraus, als wären sie lebendig. Er sah verängstigt aus. Ich bin sicher, er verstand mich, auch wenn er es nicht zugab.
    »Du weißt, dass das unmöglich stimmen kann«, sagte er ganz ruhig. »Mag sein, dass Ernessa ein durch und durch widerlicher Mensch ist – für dich ist sie es gewiss –, aber sie ist auch nicht mehr. Sie ist ein Mädchen wie du, kein Geist. Du darfst dich nicht in solchen Phantasien verfangen. Du bist so kreativ. Nutze das aus. Schreibe. In dir steckt Poesie. Lass dir von ihr helfen.«
    »Ich weiß, es klingt verrückt«, flehte ich. »Aber ich muss es glauben.«
    »Du hast ein schweres Jahr hinter dir. Du

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