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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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einer Ecke und rauche.
    Nur Lucy kann mich ertragen, weil ihr alles egal ist. Sie verschläft das Morgenklingeln und kommt kaum aus dem Bett, wenn ich sie wecke. Heute Morgen sagte sie: »Ich bin zu müde zum Frühstücken. Ich habe nicht die Energie, den Mund zu bewegen.« Ich schleppte sie runter und zwang sie, Kaffee zu trinken. Tagsüber geht es ihr viel besser, sie muss nur erst mal aus dem Bett kommen. Obwohl sie sagt, sie schlafe nachts, ist sie beim Aufwachen erschöpft.
    Sind denn alle völlig blind?
    Ich konnte nicht glauben, was ich beim Frühstück gehört habe. Ich gehe noch frühstücken, weil ich den Kaffee brauche, um den Morgen zu überstehen. Aber nicht die Brötchen. Dieses Essen ist zu klebrig. Die ganzen Mädchen machen mich krank. Ich bin von Menschen umgeben, die ich nicht kenne. Sie haben entschieden, dass Miss Bobbie umgebracht wurde. Und jetzt müssen sie glauben, ein Mann hätte es getan. Sie erfinden alle möglichen blöden Geschichten über den alten schwarzen Hausmeister, der keinen Namen hat, und den Nachtwächter, der auch als Leichenbestatter arbeitet und hinten in der Küche seine Kräcker isst.
    Ich weiß, dass sie getötet wurde, kann ihnen aber unmöglich erklären, wie es passiert ist. Sie sollen lieber glauben, was sie wollen.
    Sie erkennen nicht, was vor ihren Augen geschieht. Sie müssen alles erfinden. Es ist genau wie letztes Jahr mit Ali O’Malley. Zuerst wurden die Reifen ihres grünen VW Käfer aufgeschlitzt, dann tauchten am schwarzen Brett der Sportabteilung Tag für Tag irgendwelche Hasszettel auf. Als sie eines Morgens ihren Spind öffnete, fiel ein Glas Säure heraus und verätzte ihr die Hände. Sie wäre beinahe blind geworden. Man musste die verdrehte Irre finden, die das getan hatte. Ihre Freundinnen, lauter Tagesschülerinnen, verdächtigten sofort alle, die anders waren als sie. Ali saß während der Versammlung auf der Bühne, die Hände weiß verbunden, und lächelte selbstzufrieden, während Miss Rood über ihren Peiniger sprach. Ich betrachtete ihr sommersprossiges Gesicht, das braune Haar, das sie zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden hatte, die etwas vorstehenden Zähne, und mir wurde übel. Ich wusste, was kurz darauf alle erfuhren. Sie hatte das alles selbst getan. Sie musste einen Monat vor der Abschlussprüfung die Schule verlassen. Und die Freundinnen, die nach einem Psychofreak gesucht hatten, sprachen jetzt nur noch darüber, wie sie sich grundlos ihr Leben zerstört hatte.
    Ich muss zur Versammlung. Es hat vor fünf Minuten geläutet.
Mittagszeit
    Nun komme ich zum erbärmlichsten Teil des heutigen Frühstücksgesprächs. Ich wollte gerade aufstehen, als ich Claire sagen hörte: »Was ist mit Mr. Davies?« Sie saß am anderen Ende des Tisches, doch ich wusste, dass die Frage an mich gerichtet war. Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten, sondern schob meinen Stuhl zurück.
    »Was soll mit ihm sein?«, fragte Carol.
    »na ja, er ist ein Mann«, meinte Claire. »Und er ist irgendwie … seltsam. Kein Wunder bei dem Zeug, das er schreibt.«
    Ich hatte gewusst, dass das Gespräch letztlich bei Mr. Davies landen würde. Es gibt keine anderen Männer, über die man sich auslassen kann.
    »Man muss also seltsam sein, wenn man Gedichte schreiben will«, sagte ich. Sie wollte mich provozieren, aber ich konnte einfach nicht den Mund halten.
    »Das nicht. Ich meine das andere Zeug, das Zeug für die Pornohefte.«
    »Das hast du dir bloß ausgedacht«, antwortete ich. »Und selbst wenn er so was schreiben sollte, was er nicht tut, ist es doch völlig egal.«
    »Von wegen«, sagte Claire. »Wenn man sich so einen kranken Mist ausdenken kann, kann man ihn auch umsetzen. Und ich glaube, er steht nicht mal auf Frauen. Tief in seinem Innern hasst er sie. Ihm geht einer ab, wenn er sie leiden lässt.«
    »Das ist doch lächerlich.«
    »Wusste ich doch, dass du ihn verteidigen würdest«, sagte Claire. »Offen gesagt, möchte ich nicht allein mit ihm in einem Zimmer sein.«
    »Warum tust du das?«, schrie ich. »Ich könnte kotzen!«
    Ich stand auf und rannte hinaus. Noch ein Wort, und ich hätte ihr das Gesicht zerkratzt.
24. April
    Heute Nachmittag bin ich in den Proberaum gegangen. Ich habe so lange nicht am Klavier gesessen. Ich brauche die Musik mehr denn je.
    Ich war allein. Niemand außer mir traut sich allein hinunter. Manche Mädchen weinen im Unterricht. Sie wollen für Sport nicht länger in der Schule bleiben. Und wenn, gehen sie zusammen zum

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