Die Sehnsucht der Konkubine
deinen Stempel aufgedrückt.«
»Ich werde dich beschützen, Alexej. Damit du in dieser Stadt in Sicherheit bist.«
»Ich bin dir dankbar, Vater.«
Maxim strahlte ihn an, und seine fleischigen Wangen wurden rot vor Freude. »Ich hatte auch einmal eine Familie, zwei Söhne. Doch wenn ein Krimineller sich den wory w sakone anschließt, muss er seiner Familie abschwören, denn dann werden die Diebe im Gesetz zu seiner einzigen Familie.«
»Und wo sind sie jetzt, deine Söhne?«
Er zuckte mit den Achseln. »Sie waren früher in Leningrad, doch jetzt … wer weiß? Ich habe sie seit mehr als zwanzig Jahren weder gesehen noch von ihnen gehört. Ich würde sie nicht einmal erkennen, wenn ich auf der Straße an ihnen vorbeikäme, und sie mich auch nicht.«
Dicke, große Tränen kullerten über sein Gesicht. Alexej beugte sich nach vorne.
»Ich bin dein neuer Sohn, pakhan .« Die Worte versengten ihm die Zunge, und doch wiederholte er sie sogar. »Ich bin dein neuer Sohn, pakhan .«
»Dann gieß mir noch einen Weinbrand ein, und wir trinken darauf.«
Nachdem er ihre Gläser aufgefüllt hatte, begann Alexej wieder Rauchringe in die Luft zu blasen und musterte seinen neuen Vater durch halb geschlossene Augen. Jetzt musste er seine Bitte vorbringen.
»Also, Maxim, wirst du deinen wory befehlen, mir zu helfen?«
»Ach, mein Sohn, das ist eine große Bitte. Du bist noch kein volles Mitglied der Bruderschaft, und sie könnten dich für unwürdig halten.«
»Ich bitte dich nicht als wor , sondern als Sohn.«
Eine Pause entstand zwischen ihnen, sie schien die Luft aus dem Raum zu saugen.
»Du hast mir das Leben gerettet«, stellte Maxim fest. Doch er sagte noch immer nicht Ja.
Alexej griff in seinen abgewetzten Stiefel und zog das Messer mit der dünnen Klinge hervor, das er von Konstantin auf dem Flussschiff mitgenommen hatte. Der ältere Mann erstarrte eine winzige Sekunde lang, doch Alexej schob nur den rechten Ärmel seines Hemdes hoch und legte das bleiche, verletzliche Fleisch unterhalb seines Unterarmes frei. Dann drückte er mit großer Bedachtsamkeit die Spitze der Klinge in sein Fleisch und sah zu, wie das Blut herausspritzte. Mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung zog er die Klinge bis zu seinem Handgelenk hinab. Ein scharlachrotes Band wand sich wie eine Schlange seinen Arm entlang.
Er blickte zu Maxim empor. »Lautet die Antwort Ja?«
In der raucherfüllten Stille, die folgte, schien es Alexej, als könne er Lydias Atem hören. Dann nickte der Mann ihm gegenüber und hielt ihm den Arm hin. Alexej packte ihn und schlug den Ärmel des Morgenmantels hoch. Als er das Messer hob, fragte er sich noch, was wohl das Nicken eines Kriminellen wert war, und zog dann die Klinge durch das schlaffe, behaarte Fleisch von Maxims rechtem Arm, wo sie die Haut sauber aufschlitzte und mitten durch den grinsenden Totenschädel der Tätowierung ging, das Zeichen eines Mörders. Doch sie ging nicht tief. Er wollte den Mann nicht verletzen.
»Jetzt«, sagte Alexej. Er wischte die Klinge an seinem Schenkel ab, nahm Maxims schweren Arm und drückte ihn gegen seinen eigenen, der tropfend in seinem Schoß lag. Fleisch an Fleisch. Leben an Leben.
»Jetzt«, sagte er noch einmal. »Jetzt, Vater, sind wir von einem Blut.«
Ein respektvolles Klopfen an der Tür brachte Maxim zum Fluchen.
»Job twoju mat!« Er und Alexej spielten Karten. Maxim war ein ehrgeiziger Spieler und gewann mühelos. »Was wollt ihr?«
Die Tür ging vorsichtig auf, und die Gestalt von Igor füllte den schmalen Spalt. Der junge Mann sah nervös aus.
»Tut mir leid, dich zu stören, pakhan , aber Nikolai ist hier. Er möchte mit dir sprechen.«
»Weiß er nicht, dass ich krank bin, verdammt noch mal?«, bellte Woschtschinski. Spucketropfen lagen auf seinen Lippen, und er fuhr ungeduldig mit der Zungenspitze darüber. »Sag ihm, er soll wieder gehen.«
» Pakhan , ich …«
Jetzt wurde die Tür ganz aufgerissen, doch es war nicht Nikolai, der dort auf dem Flur stand, um seinem Chef Bericht zu erstatten. Es war ein schönes, dünnes Mädchen mit riesigen, leidenschaftlichen Augen und einer Haut wie feines Elfenbein. Alexej brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu erkennen, dass es Lydia war. Wie, zum Teufel, hatte sie ihn gefunden? Ein ungewaschener Straßenjunge mit einem flachsblonden Haarschopf kauerte hinter ihr. Ihre hässliche Mütze lag zerknüllt in ihrer Hand, und ihre wilde, rote Mähne leuchtete wie ein funkelnagelneuer Kupferpfennig
Weitere Kostenlose Bücher