Die Sehnsucht der Konkubine
China?«
»Ja.«
»Nein«, antwortete sie. »Hast du denn vergessen? Wir haben doch schon vor Langem beschlossen, solange du für die Kommunisten kämpfst, kannst du kein Mädchen aus dem Westen brauchen, das für dich ein Klotz am Bein ist. Es ist einfach keine Welt, in der Platz für mich wäre.«
»Doch, es gibt eine.«
»Und wo?«
»Hongkong.«
SIEBENUNDFÜNFZIG
D er Wagen war überfüllt, und in seinem Inneren roch es nach China statt nach Russland. Lydia wurde gegen das Fenster gepresst. Chang An Lo saß neben ihr, wie eine Barriere zwischen ihr und den anderen. Er hatte in dem Moment, als sie sich in den Wagen setzten, nach ihrer Hand gegriffen, und obwohl er in einen heftigen Streit mit Biao vertieft war, ließ er sie die ganze Fahrt über nicht los.
Ihre Reisetasche lag über dem Rucksack auf Changs Schoß, als wollte er sie vor den chinesischen Eindringlingen verstecken. Biao und ein weiterer Chinese in Schwarz saßen zusammengequetscht auf der anderen Seite von Chang auf dem Rücksitz, während sich drei weitere vorne drängten. Der auf dem Fahrersitz hatte eine silbrige Narbe an der Stelle, wo früher sein Ohr gewesen war.
Ihre Stimmen klangen hart in Lydias Ohren, eine Flut wütender chinesischer Wörter ging zwischen Chang und Biao hin und her und erfüllte die Luft – Freunde, die sich bekämpften wie Feinde. Sie hätte zu gerne gewusst, was da besprochen wurde, wusste jedoch, dass Chang ihr nur so viel sagen würde, wie er ihr verraten wollte. Sie lehnte den Kopf gegen das Fenster und sah dabei zu, wie sich der Schnee und die Straßen draußen hinter der beschlagenen Scheibe aufzulösen schienen. Sie hatte Angst vor dem, was sich wohl noch auflösen würde.
»Lydia.«
Die wütende Wortflut hatte aufgehört.
»Sag mir, was hier vorgeht, Chang.«
Seine Hand schloss sich fester um die ihre, und jetzt sprach er Englisch, damit keiner seiner Landsleute ihn verstehen konnte.
»Lydia.« Aus der Art und Weise, wie er ihren Namen sagte, schloss sie, dass nichts Gutes folgen konnte. »Ich muss dich verlassen, Lydia. Nein, mein Liebes, schau nicht so, es wird nicht für lange sein. Wir sind darin übereingekommen«, sagte er leise, »dass wir uns in Hongkong treffen können. Ich werde dort sein, das schwöre ich. Aber durch Russland kann ich nicht mit dir reisen, das lassen sie mich nicht.«
Sie schaute auf die Köpfe vor ihnen. »Nicht mal, wenn wir vor diesen Männern hier davon …«
»Nein, keine Risiken mehr, Lydia. Wenn du und ich zusammen ausreißen, dann werden uns diese Leute verfolgen, die ganzen vielen tausend Meilen bis nach China. In diese Gefahr werde ich dich nicht mehr bringen. Diesmal«, er berührte zärtlich ihren Hals, »möchte ich, dass du in Sicherheit bist.«
»Was sollen wir dann tun?« Sie schaute zu Biao hinüber, der stur geradeaus blickte, nicht gewillt, sie anzusehen.
»Es ist abgemacht.« Er fasste sie an beiden Händen, und so wusste sie, dass es schlimm werden würde.
»Sag’s mir.«
»Ich soll mit der Delegation nach China zurückfahren und Mao Tse-tung Bericht erstatten. Ich habe mein Wort gegeben, dass ich ihnen keine Schwierigkeiten machen werde.«
Sie lächelte ihn an. »Chang An Lo, der das fügsame Lamm spielt? Das wird ein echtes Spektakel sein.« Doch in seinen Augen blitzte kein Lachen auf. »Was bekommen wir dafür?«, fragte sie leise.
»Einen Bewacher für dich.«
»Ich brauche keinen Bewacher.«
»Doch, den brauchst du. Die russische Geheimpolizei sucht nach dir, also …«
»Wer? Wer soll dieser Bewacher sein?«
Chang blickte auf Biaos mürrisches Profil.
»Nein«, sagte Lydia scharf. »Ich weigere mich, diesen …«
»Nein, Lydia. Wehr dich nicht, es hat keinen Sinn.«
Sie schluckte die Worte hinunter, die ihr schon auf der Zunge gelegen hatten, und sah, wie er mit seinen dunklen Augen die stummen Bewegungen ihrer Lippen verfolgte, während sie zu akzeptieren versuchte, was er sagte.
»Biao wird dich die ganze Strecke bis Wladiwostok begleiten. Mit ihm an deiner Seite wirst du keine Probleme mit den Russen haben. Und dann fährst du durch China nach Süden bis Hongkong.«
»Er hasst mich«, flüsterte sie. »Warum würde er so etwas tun?«
»Weil ich es ihm befohlen habe. Ich weiß, er wird dich mit seinem Leben beschützen.«
»Obwohl er mich hasst?«
»Vertrau ihm, Lydia. Er wird dich sicher nach China bringen.«
Sie ließ den Kopf hängen, und er schlang einen Arm um ihre Schultern. »Ich würde mein Herzblut dafür geben,
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