Die Sehnsucht der Konkubine
Mündern. Bücher waren auf dem Boden gestapelt, Gemälde lehnten an den Wänden. Lydia fand es vollkommen unpassend, dass ein Kommunist so viel besessen hatte, und der Geist der Korruption zog sich von Kiste zu Kiste wie der Faden, der unbeachtet auf einem der persischen Teppiche lag. Es war ihr nicht leichtgefallen, noch einmal durch diese Tür zu schreiten, zu schwer wog die Erinnerung an das letzte Mal, als sie dies getan hatte.
Alexej war überrascht, sie zu sehen. »Lydia, solltest du nicht im Bett sein?« Doch dann küsste er sie sanft auf beide Wangen und hob beim Anblick ihres Haars kaum mehr als eine Augenbraue. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, weil ich etwas für dich habe.«
Er führte sie ins Arbeitszimmer, wo Antonina am Schreibtisch saß und eine Schublade mit Dmitris Papieren durchschaute. Sie blickte auf, und ein Leuchten trat in ihre dunklen Augen. Dann sah sie das Ergebnis von Changs Frisierkünsten mit dem Messer und runzelte die Stirn, bevor sie zur Tür kam, wo Lydia stehen geblieben war, weil sie das Arbeitszimmer nicht mehr betreten wollte.
»Lydia, mein liebes Mädchen, du bist …« Lydia war sich sicher, dass sich der Kommentar auf ihr entstelltes Äußeres beziehen würde, doch sie täuschte sich. »Du bist herzlich willkommen.« Antonina umarmte sie. Zum ersten Mal, seit sie sie kannte, trug sie kein Parfüm.
»Du siehst gut aus«, sagte Lydia.
»Es geht mir auch gut.«
Tatsächlich war Antonina so hübsch, wie Lydia sie noch nie gesehen hatte. Und ganz verändert sah sie aus. Ihr dickes Haar hatte sie locker am Hinterkopf verknotet, und sie trug ein schlichtes blaues Kleid und eine Strickjacke, denen man ansah, dass sie nicht aus Paris stammten. Doch das war nicht die einzige Veränderung. Antoninas Gesicht war nicht geschminkt, und sie trug keine Handschuhe. Zwar lagen dunkle Schatten unter ihren Augen, als würde sie schlecht schlafen, aber ihr Mund zeigte nichts mehr von der Anspannung, die ihn vorher so hart wirken ließ.
»Komm und trink Kaffee mit uns. Alexej, wir sind dann im Wohnzimmer.«
Taktvoll führte sie Lydia vom Arbeitszimmer weg, bat sie, sich zu setzen, und ging Kaffee kochen, während Alexej mit ihr redete. Auf einmal fand es Lydia beunruhigend, mit diesem Mann zusammen zu sein, der nicht ihr Bruder war. Sie würde ihn in einem anderen Licht sehen müssen.
»Geht es dir gut?«, fragte er voller Sorge.
»Ziemlich gebeutelt, aber ich lebe noch.« Sie lächelte ihn an. »Dank dir.«
Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber von ihr und streckte mit einer etwas unbeholfenen Geste die Beine aus. Ihre Dankbarkeit machte ihn offenbar verlegen. Sie wechselte das Thema.
»Ihr packt, wie ich sehe.«
»Ja. Langsam werden Fragen gestellt, was eigentlich aus Dmitri geworden ist. Es ist zu gefährlich hierzubleiben, deshalb hauen wir heute ab.«
»Wohin geht ihr?«
»Antonina nimmt einen anderen Namen an, damit man sie nicht mehr aufspüren kann, und wir haben uns neue Papiere machen lassen. Aber wir bleiben in Moskau und ziehen in einen anderen Bezirk.«
»Natürlich, Maxim ist ja in Moskau.«
Alexej warf ihr einen verärgerten Blick zu, und sie schaute ihm in die Augen. Es war ihre Farbe, die sie in die Irre geführt hatten. Dadurch hatte sie der Vermutung ihrer Mutter, Jens sei sein Vater, Glauben geschenkt, doch wie dumm konnte man eigentlich sein? Jens war nicht der einzige Mann in St. Petersburg mit grünen Augen gewesen.
Plötzlich beugte sie sich vor. »Ich gehe zurück nach China.«
Sie hörte, wie er scharf einatmete. »Nein, Lydia, nicht. Das wäre ein Fehler. Hör mal, warum bleibst du nicht bei uns? Hier in Moskau. Wir haben eine Wohnung gefunden.« Er wies auf den Raum mit den hohen Decken. »Keine so begehrenswerte wie die hier, aber sie hat zwei Zimmer, deshalb …«
»Nein, Alexej. Danke, aber nein.«
»Bitte, Lydia, tu das nicht. Das ist alles falsch. Was sind wir beide ohne Russland? Es liegt uns im Blut.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich liebe Russland. Aber nicht genug.«
Ihre Blicke begegneten sich. Wie hatte sie diesen Mann jemals für kalt halten können? Da war immer noch dieses Feuer, das tief in seinem Inneren brannte, verborgen hinter einer Wand aus Stolz. »Ich liebe dich, mein Bruder«, sagte sie leise. Sie konnte und wollte ihn einfach nicht seines Vaters berauben, indem sie ihm die Wahrheit sagte.
Er stand von seinem Stuhl auf, kniete auf dem gebohnerten Boden vor ihr und griff nach ihren Händen. »Bleib in Moskau«, flehte
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