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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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entfernt stand ein mit
Schnitzereien verzierter Ständer, auf dem sich Degen aneinanderreihten. Mit
einem kurzen Blick bedachte sie den nachtblauen samtenen Vorhang, hinter dem
sich gewiss eine Wanne oder zumindest eine Waschkommode befinden musste. Und
endlich sah sie von Neuem zu den beiden Augen, in denen die Bestürzung bereits
wieder einer kalten Selbstgewissheit gewichen war.
    Ein breiter weinroter
Sessel umfasste einen Mann mit grauem Haar und schwarzer Kleidung. Tiefe Falten
um Mund und Nase schienen nicht unbedingt vom vorangeschrittenen Alter, sondern
eher von dem Leben zu stammen, das dieser Mann geführt hatte. Gnadenlosigkeit
sprach aus diesen Augen, die schwarz waren, nicht von diesem strahlenden Blau,
mit dem Anselmo die Welt betrachtete. Doch wie verwirrend war für Bernina die
Ähnlichkeit, die ansonsten zwischen ihrem Mann und dem Fremden im Sessel
bestand. Tatsächlich, sie sahen aus wie Vater und Sohn.
    Anselmo sagte etwas auf
Spanisch, worauf Ernesto Alvarado ein schmales Lächeln präsentierte, das die
Härte seines Blickes jedoch nicht minderte. Und in diesem Moment schimmerte
auch eine Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Bruder Juan auf, der weit von
hier seinen letzten Atemzug getan hatte.
    Wiederum begann Anselmo
in seiner Heimatsprache zu reden, nur um dann innezuhalten und in Berninas
Sprache fortzufahren: »Deine Wege waren immer ungewiss, doch dass sie dich
ausgerechnet hierher führten, das war ein böser Scherz des Lebens.«
    Der Mann erhob sich
mühsam aus dem Sessel und griff nach einer Krücke, die daneben auf dem Boden
gelegen hatte. Jetzt erst fiel Bernina auf, dass sein rechter Fuß verkrüppelt
war. Auch Anselmos Blick blieb daran hängen, doch nur kurz.
    »Ein dummer Unfall«,
erklärte der Mann mit hartem spanischem Akzent. »Beim Sturm einer Stadtmauer
wurden wir mit Steinbrocken beworfen. Einer landete genau auf meinem Fuß.«
Alvarado humpelte zum Tisch herüber, ohne Anselmos Pistole Beachtung zu
schenken. Jeder Schritt schmerzte ihn, das war nicht zu übersehen. »Leider sind
die Weinflaschen leer.« Spott lag in jeder einzelnen Silbe. »Aber wenn du
möchtest, lasse ich für dich noch welche bringen.«
    »Du kannst etwas anderes
für mich tun.«
    »Und das wäre?« Gestützt
auf die Krücke, sah Alvarado mit hartem Blick auf seinen Sohn.
    »Verschwinde mit deinen
Männern von hier. Und gib vorher noch den Menschen die Wertsachen zurück, die
du ihnen abgenommen hast.«
    Ein ironisches
Auflachen. »Das kann ich nicht. Es ist unser Lohn. Er steht uns zu.«
    »Nichts steht dir zu. Du
hast unsere Familie zerstört – und viele weitere Familien im Laufe der Jahre.
Ich habe angenommen, dich hätte längst das Schicksal ereilt, das du verdient
hast.«
    »Ach, das Schicksal ist
nicht gerade verlässlich. Aber es hat zumindest Sinn für Humor. Sonst würden
wir uns nicht in diesem kleinen jämmerlichen Dorf wieder begegnen.«
    »Vielleicht war es
unausweichlich.«
    »Wie ist es dir in der
Heimat ergangen? Ehrlich gesagt, bin ich erstaunt, dass du den langen Weg
zurück geschafft hast. Auf deinen Vetter Pablo ist wohl ebenso wenig Verlass
wie auf das Schicksal.«
    »Pablo ist tot«,
entgegnete Anselmo hart. »Es hat ihm also nichts gebracht, dich und Juan zu
unterstützen. Nichts als den Tod. Und das gilt auch für deinen Bruder. Juan
starb durch eine Degenklinge.«
    Keine Regung in den
schwarzen Augen. »Dann muss ich wohl annehmen, dass deine Mutter noch lebt.«
    »Sie erfreut sich bester
Gesundheit.«
    »So bin ich wohl der
Letzte der Alvarados. Oder gibt es irgendwo noch jemanden von uns? Womöglich
ganz in der Nähe?« Rätselhaft, wie er das betonte. Dann folgte ein
verächtliches Schnauben. »Denn du bist gewiss keiner von uns. Sieh dich an. Du
bist ein Bauer.« Und wieder dieses kalte Lächeln. »Aber immerhin hast du eine
schöne Frau für dich gewonnen. Das ist mehr, als ich dir zugetraut habe.« Zum
ersten Mal legte sich der Blick des Mannes auf Bernina.
    »Ich sollte dich einfach
erschießen«, zischte Anselmo.
    »Dazu fehlt es dir an
Mut.«
    »Mut ist es nicht, was
man dazu braucht, sondern etwas ganz anderes. Aber diesen Unterschied wirst du
nie begreifen.«
    Ernesto Alvarado
erwiderte nichts. Ein Moment dumpfer bedrohlicher Ruhe.
    »D’Orville rückt mit
seiner Armee auf den Ort vor. Er hat schon mehrere Dörfer dem Erdboden
gleichgemacht. Dir bleibt also nicht mehr viel Zeit, um dich von deinem
Diebesgut zu trennen und für immer von hier zu

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