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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Zweifel. Doch für sie war
alles ohnehin nur noch wie in einem Alptraum, wie von Nebelschwaden verborgen,
unwirklich, schemenhaft. An dem Söldner vorbei versuchte sie auf Anselmo zu
blicken, der nun ausgestreckt auf dem Rücken dalag.
    Der Söldner allerdings
näherte sich noch ein Stück, die Spitze seines Degens riss Berninas Blick an
sich. Die Waffe zischte durch die Luft – und erwischte Berninas Umhang, der
sich von ihren Schultern löste. Der nächste Hieb, aber aus einem Reflex heraus
gelang es Bernina, ihre Hand mit dem Degen hochzureißen, den sie fast schon
vergessen hatte. Sie parierte einen weiteren Schlag. Und wieder einen und noch
einen. Sie schleuderte dem Fremden einen Stuhl vor die Füße, doch er sprang
darüber hinweg, hieb erneut auf sie ein. Ein zweiter Söldner erschien wie aus
dem Nichts an seiner Seite – noch eine Klinge, die ihren Tod wollte. Und
Bernina verteidigte sich, führte die Waffe mit immer größerer Sicherheit, es
gab nichts anderes mehr, nur noch das Fechten, und sie kämpfte und kämpfte, als
hätte sie keine Seele, keine Gefühle, keine Erinnerungen. Sie dachte an nichts,
nicht einmal an Anselmo. Sie kämpfte und kämpfte, die Waffe war zu einem Teil
ihres Körpers geworden. Schnell und geschickt war sie, scheinbar ohne Atem
holen zu müssen.
    Sie duckte sich unter
einem Schlag, den sie nicht gesehen, eher gefühlt hatte, und wich der Klinge
aus, doch der stählerne Handschutz des feindlichen Degens traf hart auf ihren
Kopf. Schmerz durchfuhr sie, alles schien sich vor ihren Augen zu drehen,
plötzlich war da noch eine dritte Gestalt, ein großer, kräftiger Mann. Das ist
das Ende, sagte sie sich, und es dauerte einen unendlich langen Moment, bis ihr
bewusst wurde, dass dieser Mann ihr half – dass er schon einen der beiden
Söldner zu Boden geschickt hatte und sich jetzt den zweiten vornahm. Immer noch
drehte sich alles, sie blinzelte, dann aber nahm sie alles um sich herum wieder
ganz klar wahr. Vor allem den Mann, der weiterhin reglos dort auf dem Teppich
lag. Sie durchquerte den Raum, ohne noch einmal auf die beiden Kämpfer zu
achten und fiel an Anselmos Seite auf die Knie.
    Seine Hände krallten
sich wie zuvor auf der Brust zusammen. Zwischen den Fingern quoll Blut, Bäche
aus Blut.
    Er lächelte.
Blutstropfen auch auf den Lippen.
    »Anselmo«, stöhnte sie
erschüttert.
    »Alles vorbei, Bernina.«
    »Nein!« Ihre Stimme war
erneut ein Aufschrei. »Nein!« Sie bebte, alles an ihr, jede Faser ihres
Körpers, ohne dass sie es merkte.
    »Du und dieser Mann«,
brachte Anselmo stockend hervor. »Dieser Norby. Es war so schwer für mich.«
    »Nicht sprechen.«
    »So schwer. Irgendetwas
ist da zwischen euch. Ich habe es gespürt, von dem Moment an gespürt, als er in
der Festung unser Gefangener wurde. Da ist etwas zwischen euch …« Anselmos
Blick verlor sich irgendwo, weit entfernt. »Etwas, gegen das ich keine Chance
hatte.« Wieder dieses Lächeln, das Berninas Herz zerriss. »Und wahrscheinlich
habe ich es einfach nicht anders verdient, Bernina. In all den Jahren habe ich
dir nie die volle Wahrheit über mich gesagt …«
    »Das ist nicht wichtig.«
Tränen strömten über ihre Wangen. Sie fühlte sie gar nicht, nichts mehr fühlte
sie. Nichts außer Anselmo.
    »Doch, es ist wichtig.«
Seine Augen wurden glasig, immer mehr von diesen leuchtend roten Tropfen auf
seinen Lippen. »Einfach nicht anders verdient, Bernina …«
    »Nein!« Abermals ihr
gellender Schrei. Es war, als starre sie in einen schwarzen Abgrund, in eine
unendliche Tiefe am Ende der Welt. Ihr Mund presste sich auf Anselmos Lippen.
Alles, was sie wahrnahm, war der bittere Geschmack von Blut.

Kapitel 8
Die liebliche Melodie des Todes
     
    Flammen zischten in den Teichdorfer Himmel. Viel stärker noch als
in jenen Nächten der brennenden Scheiterhaufen wüteten die Feuer. Und das
bereits seit dem Morgengrauen, Stunde um Stunde. Qualmwolken färbten die
grauen, tiefhängenden Wolken noch dunkler. Der kleine Ort ein Bild der
Verwüstung. Leichen auf den Straßen, vor allem spanische Söldner, von denen
kaum einer entkommen zu sein schien. Flüchtende Einwohner und plündernde
Männer, die unter dem Kommando General d’Orvilles standen, dessen Ankunft bald
erwartet wurde. Einige seiner Soldaten bereiteten eines der größten
Fachwerkgebäude für ihn als Quartier vor. So stieß er also weiterhin nach
Westen vor, sein zweiter Anlauf zur Eroberung badischer Gebiete, und diesmal
schien er über noch mehr

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