Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
Spanien
klar geworden«, meinte Bernina zu ihm, »dass dein Vater der Anführer der Männer
mit den roten Umhängen ist, oder?«
    »Ja, erst da kam mir der
Verdacht. Auf den Straßen Teichdorfs hatte er sich ja nie sehen lassen.
Außerdem hatte ich immer schon das Gefühl gehabt, er wäre längst tot. Oder
vielleicht war es einfach mein Wunsch gewesen. Als jedenfalls die Männer in
Teichdorf erschienen, hielt ich sie für eine Gruppe, die irgendwie mit meinem
Onkel Juan in Verbindung stehen musste. Ehrlich gesagt wollte ich gar nicht
wissen, wer sie waren. Dann allerdings tischte mir Pablo seine Lügen auf und …«
Seine Hand strich schnell durch die Luft. »Ach, lassen wir das lieber.« Er sah
Bernina an: »Du hast dich nach dem Kloster erkundigt. Mit welcher Absicht?«
    Etwas unschlüssig hob
sie die Schultern. »Ich weiß selbst nicht so recht, weshalb. Wohl einfach nur
so, aus irgendeinem komischen Gefühl heraus.«
    Danach schwiegen sie.
Begleitet nur von ihren ungewissen Gedanken, setzten sie ihren Weg fort. Die
Sonne ließ sich sehen, es war ebenso angenehm wie am Vortag. Der Schnee
bedeckte nicht mehr das ganze Land, hier und da kamen Flecken braunen Grases
zum Vorschein. Immer wieder spürte Bernina, wie ihr Blick fast unbewusst die
Umgebung abtastete. So vertraut war ihr diese Gegend, hier hatte sie ihre
ersten Schritte zurückgelegt, zum ersten Mal das Aroma des Schwarzwaldes
eingeatmet. Sie sah Rottannen und Fichten, Wälder, die selbst in ihrer
winterlichen Kargheit dicht und undurchdringlich wirkten. Die Berggipfel
erstrahlten unberührt im Weiß des Schnees, und die engen Täler waren wie die
Schießscharten riesiger Wesen, wie von mächtiger Klinge in die Erde gegraben.
    Sie
nahmen versteckte Wege, Pfade, die selbst vielen Einheimischen unbekannt waren.
Nur langsam kamen sie voran, bisweilen mussten sie sich regelrecht durch Schnee
und Matsch kämpfen, durch finstere kleine Waldstücke. Doch als der Abend
begann, sich über die einsame Gegend zu senken, waren sie Teichdorf ganz nahe.
In einem jener Täler hielten sie den Planwagen an und verbargen ihn an der
Seite einer klaffenden Felswand, die den Vorhang aus Bäumen mit ihrem nackten
Granit durchbrach. Sie beschlossen, noch etwas abzuwarten, bevor sie sich dem
Ort nähern würden. Den Schutz der Nacht wollten sie sich zunutze machen.
Anselmo schlug vor, ein Feuer zu entfachen, Bernina allerdings war unsicher. »Man
kann den Qualm womöglich bis nach Teichdorf sehen. Selbst so spät am Tage
noch.«
    »Aber es wird bestimmt
kalt werden. Außerdem sind wir hier recht gut versteckt.« Er lächelte schmal.
    »Wie du meinst.«
    Während Baldus sich um
die Pferde kümmerte, behalf sich Anselmo mit Reisig, Tannenzapfen und
Krüppelholz, und es gelang ihm, ein paar züngelnde Flammen zum Leben zu
erwecken. Zu dritt bildeten sie dann einen kleinen Kreis um das wärmende
Feuerchen.
    »Mir ist aufgefallen«,
sagte Bernina irgendwann zu dem Knecht, »dass du dir einen neuen Lederbeutel
zugelegt hast. Mit so einem Beutel hast du mir einmal sehr geholfen.« Fröstelnd
erinnerte sie sich kurz an ihre Flucht aus dem Turm in Teichdorf.
    Baldus lachte leise.
»Ja, darin befindet sich auch wieder die gleiche Mischung. Man kann ja nie
wissen, wem man begegnet.«
    Ansonsten wurde kaum
gesprochen. Die Nacht schritt voran, das Feuer brannte herab. Bevor der Morgen
graute, entschieden sich Bernina und Anselmo dazu, aufzubrechen und die Lage in
der Ortschaft zu erkunden. Gern hätte Bernina auch den Petersthal-Hof
wiedergesehen. Abermals verspürte sie große Sorgen um ihren Besitz, abermals
sah sie ihn in Trümmern vor sich liegen.
    Doch der nächste Schritt
würde ein anderer sein – das Ziel war Teichdorf.
    Überrascht blickte
Bernina auf, als Anselmo plötzlich eine Pistole aus seiner Tasche im Wagen
hervorholte, um sie sich in den Gürtel zu schieben. »Ich hatte keine Ahnung,
dass du eine Waffe besitzt.«
    Ohne sie anzusehen,
entgegnete er knapp: »Ich habe sie schon bei mir, seit wir die Festung in
Spanien verließen.«
    Darauf sagte sie nichts.
    Baldus wurde angewiesen,
zurückzubleiben und auf den Wagen und die Tiere aufzupassen. Zuerst
protestierte er, dann aber willigte er ein. Bernina spürte den bangen Blick des
Knechts auf sich liegen, als sie sich mit Anselmo auf den Weg machte. Ein
fahles graues Flackern erhellte den Himmel über den Gipfeln des Schwarzwaldes
ganz schwach. Kalte Luft wogte um sie herum, der neue Tag war noch nicht da,
jedoch nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher