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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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hin und wieder in den Wäldern und
Schluchten, um eine möglichst wenig beschwerliche Route auszukundschaften. Was
sich allerdings als schwierig erwies. Steiler wurde das Gelände, noch
unwegsamer. Bisweilen stiegen Bernina und Baldus vom Planwagen, um die
Zugpferde am Halfter zu ergreifen und weiterzuführen. Kloster Murnau schien an
einer besonders abgelegenen Stelle zu liegen. Bisweilen wiederholte Bernina in
ihrer Erinnerung die Wegbeschreibung des Gundelfinger Wirtes, und sie war sich
nicht sicher, ob sie damit wirklich ans Ziel gelangen würden.
    Der Einbruch der
Dunkelheit stoppte sie erneut. Bernina und der Knecht schliefen im Wagen, nicht
jedoch Norby. Bernina warnte den Schweden, es könne zu kalt werden, und bot ihm
ebenfalls unter der Plane einen Platz an. Er allerdings weigerte sich. Nachts
wühlte sie sich gelegentlich aus ihren Decken, um einen sorgenvollen Blick nach
draußen zu werfen. Doch immer das gleiche Bild. Die Gestalt des großen Mannes,
umwickelt von vielen Schichten Stoff, sitzend, dann wieder ein paar Meter
gehend, stets darauf achtend, dass das Feuer niemals erlosch. Grüblerisch
wirkte er, wohl eher von der eigenen Unruhe wach gehalten als von der Kälte. Am
folgenden Morgen machte er dennoch keinen übermüdeten Eindruck. Der Glanz
seiner Augen war ungebrochen, aber Bernina sah ihm an, dass er innerlich nach
wie vor mit den Gedanken der Nacht rang.
    Ihre Vorräte gingen zur
Neige, und so streifte Norby in den ersten, noch trüben Stunden des Tages durch
die Wälder, um zu jagen. Auf dem Rückweg in den Schwarzwald hatte er sich mit
einer Pistole und einer Armbrust ausgestattet. Und nach vielen glücklosen
Versuchen fand einer seiner Pfeile endlich ein Ziel. Er erwischte ein Reh, und
das Abhäuten und Zerlegen des Tieres hielt sie zwar noch ein wenig mehr auf,
doch dafür gab das herzhafte, über dem zischenden Feuer geröstete Fleisch allen
dreien neue Kraft. Anschließend ging es weiter, eine schweigende kleine Gruppe,
umgeben von einer wilden Landschaft. Am späten Nachmittag löste sich der
Schwede erneut vom Wagen, um die Umgebung zu erkunden. Baldus hielt die Pferde
am Rande eines Waldstückes an. Der Himmel bekam einen ersten matten, dunklen
Anstrich.
    Ein Husten ließ Bernina
aufblicken. Sie und Baldus saßen auf dem Bock. Sowohl sie als auch der Knecht
hatten das Geräusch gehört, und beide spähten sie zwischen den Bäumen hindurch,
ohne etwas Auffälliges zu entdecken.
    »War das ein Geist?«,
fragte Baldus angespannt.
    »Norby jedenfalls
nicht.«
    Zwei Gestalten schoben
sich aus dem Wald, große, dick vermummte Männer, die Tücher und Schals um Kopf
und Hals geschwungen hatten. Berninas Kehle wurde trocken. Ausgerechnet jetzt
war der Schwede nicht da. Unbewusst richtete sie sich auf, als müsse sie jeden
Moment zum Sprung bereit sein.
    Einer der Männer rief
einen Gruß aus, erhielt allerdings keine Antwort.
    Erst dann sah Bernina
den Karren, der mit Holzstücken gefüllt war und vom hinteren der beiden Fremden
gezogen wurde.
    »Sie
scheinen harmlos zu sein«, flüsterte sie Baldus zu.
    Die Männer blieben
stehen, ein paar Meter vom Wagen entfernt, und schließlich hob Bernina die Hand
zu einer freundlichen Geste.
    Ein Gespräch entwickelte
sich, geprägt von beiderseitiger Vorsicht, aber es stellte sich rasch heraus,
dass die Fremden tatsächlich nur zwei rechtschaffene Brüder waren, die auf
einem abseits gelegenen Hof lebten und gerade dabei waren, einen Nachschub an
Brennholz zu beschaffen.
    »Die Kälte lässt einfach
nicht locker«, meinte einer der beiden mit freundlichem Lächeln.
    »Ja, in diesem Winter
steht uns einiges bevor«, erwiderte Bernina, die die Blicke der Brüder auf sich
zog, während Baldus von ihnen kaum wahrgenommen wurde.
    »Wohin soll’s denn
gehen, wenn man fragen darf?«
    »Wir sind auf dem Weg zu
Kloster Murnau. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir nicht zu weit westlich
unterwegs sind.«
    Ein unübersehbarer
Schatten fiel auf die Gesichter der Männer. »Kloster Murnau«, wiederholte der
Ältere gedehnt. »Was wollen Sie denn ausgerechnet dort?«
    »Wir suchen jemanden«,
antwortete Bernina zurückhaltender.
    »Aha.« Ein Blick
zwischen den Brüdern. »Sie suchen jemanden? Wohl einen Geist, was?«
    »Einen Pfarrer. Egidius
Blum.« Sie rätselte, ob es klug war, das so offen auszusprechen.
    »Nie gehört.«
    Zum ersten Mal äußerte
sich Baldus, mit betont freundlicher Stimme: »Gibt’s denn etwa Geister auf
Kloster Murnau?«
    Unsicher das

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