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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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und strich ihr übers Haar. »Nichts weiter. Nur
ein Traum.« Überraschend sanft diese breite Hand des Mannes, fast nicht
fühlbar.
    Bernina vergrub sich
tiefer in der Decke, die er ihr gegeben hatte, zog den Stoff übers Gesicht. Von
Neuem kam der Schlaf über sie, diesmal mit aller Macht, und bis die ersten
Sonnenstrahlen die kleine versteckte Lichtung erreichten, wachte sie nicht mehr
auf, wurde sie von keinem sonderbaren Wesen mehr erschreckt.
    Als sie sich aus der
Decke wühlte, stellte sie fest, dass Norby bereits das Feuer wieder entfacht
hatte und Wasser in einem bauchigen Kessel erhitzte. Außerdem hatte er etwas zu
essen für sie bereit gelegt. Sie erhob sich und entdeckte ihn bei den Pferden,
die nahe der Feuerstelle an einem Baum festgebunden waren. Vor sich hin
meckernd, kniete Norby bei seinem Lasttier. Immer wieder fuhr er mit der Hand
über das Vorderbein des Pferdes.
    »Schimpfen Sie mit der
Stute oder mit sich selbst?« Bernina stellte sich neben ihn.
    »Einen wunderschönen
guten Morgen.« Im Knien sah er kurz zu ihr auf. »Ich fürchte, das Pferdchen
lahmt ein wenig. Es ist mir gestern schon aufgefallen.«
    »Und jetzt?«
    »Ich kann die Last
anders verteilen, auch etwas davon zu mir aufs Reitpferd nehmen. Aber aufhalten
wird uns die Sache trotzdem.« Er erhob sich zu seiner vollen Größe und murmelte
ein paar Worte in einer Sprache, die Bernina nicht kannte. »Klingt nach ein
paar saftigen Flüchen«, meinte sie.
    »Da haben Sie recht.«
    »Woher stammen Sie?
Gewiss aus dem Norden. Sind Sie Schwede?«
    »Richtig geraten.« Norby
legte kurz den Zeigefinger auf die Lippen. »Aber sagen Sie’s niemandem weiter.«
Ein spitzbübisches, gespielt verschwörerisches Lächeln.
    Sie schmunzelte. »Und
warum soll es ein Geheimnis bleiben?« Während er nach und nach alle drei Pferde
aus einem Hafersack fütterte, erklärte er wieder ernsthaft: »Hier im Reich
werden Schweden nur als Mordbrenner, Plünderer und Verbrecher angesehen.
Schweden sind verhasst, so gut wie überall.«
    »Wundert Sie das?«,
fragte Bernina offen. »Die Schweden sind der Feind des Kaisers.«
    »Sicher, das sind sie«,
gab er zu. »Aber sie waren immer Verbündete der Protestanten, von denen es in diesem
Land ja auch welche gibt. Und diese Leute waren einmal froh, als unser König
hierher kam, um für Ziele zu kämpfen, die auch die ihren waren.«
    »Ihr König ist schon
seit vielen Jahren tot.«
    »In der Schlacht von
Lützen ist er gefallen.« Norby nickte, auf einmal offenbar ganz weit weg, in
einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. »Aber etwas von ihm ist dennoch
geblieben. Zumindest am Anfang.«
    »Und was war das?«
    Er grinste, diesmal ohne
Heiterkeit. »Er stand für Ehrlichkeit, für Stärke, für das Recht auf
Glaubensfreiheit.«
    »Für mich stand er vor
allem für Krieg«, entgegnete Bernina trocken.
    »Sicher. Auch dafür.«
Bewunderung schlich sich in seinen Ton. »Er war ein Krieger. Und zwar ein
großer Krieger.«
    »Sie reden, als hätten
Sie ihn gekannt.«
    »Ja, das habe ich. Ich
war dabei, als er auf dem Schlachtfeld starb.«
    Nebeneinander gingen sie
von den Pferden zurück an die Feuerstelle, wo sie sich auf einer Decke
niederließen, um ein paar Bissen hart gewordenes Brot und getrocknete Früchte
zu sich zu nehmen.
    »Dann sind Sie also als
Soldat in unser Land gekommen«, hakte Bernina nach.
    »Als junger Offizier.
Mit unbändiger Lust auf Abenteuer. Ich brannte darauf, mich in die Schlachten
zu stürzen.«
    »Was fanden Sie, als Sie
hier waren?«
    »Das, was ich gesucht
hatte. Den Krieg.« Wiederum dieses eher traurige Lächeln. »Auch noch etwas
anderes.«
    »Und zwar?«
    »Die ersten Jahre waren
aufregend, das gebe ich zu. Ich spürte zum ersten Mal, dass ich etwas zu
leisten imstande war. Dass ich wirklich am Leben war. Doch mit dem Tod des Königs
veränderte sich alles. Das, was mich zuvor mit Leidenschaft erfüllt hatte, sah
ich plötzlich auf eine andere Weise. Ich spielte das Spiel nicht mehr mit, ich
hörte damit auf.« Er sah Bernina gedankenvoll an. »Und in der Zeit, die dann
kam, na ja, weißt du, da ließ ich es einfach zu, dass mich der Wind herumwehte.
Von hier nach da, in diese oder jene Richtung.«
    Ihr entging nicht, dass
er zum ersten Mal zu dem vertrauten Du übergegangen war. Ihm dagegen schien das
gar nicht aufzufallen. »Aber genug geschwatzt.« Norby schlug mit der flachen
Hand auf die Erde. »Sehen wir lieber zu, dass wir weiter kommen.«
    Kurze
Zeit später brachen sie auf.

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