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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Königs,
Herzog von Alba, sollte vertrieben werden. Doch jener Herr schlug zurück. Er
ging mit äußerster Härte gegen Protestanten und Rebellen vor. Spanische Truppen
wurden ausgesandt und noch mehr Blut floss.«
    »Das alles wusste ich
nicht.«
    »Heute
kümmern diese Einzelheiten auch keinen mehr. Aber seither kann man fast überall
auf spanische Einheiten treffen. Die meisten davon stehen auf der Seite des
Kaisers. Doch es gibt auch andere, die eben nur noch auf den eigenen Vorteil
aus sind.« Schwarzmaul zog eine Grimasse. »Genau das meine ich ja. Dieser Krieg
reißt alle mit ins Verderben, jedes Land, er ist wie ein Sturm, der über alle
Grenzen hinwegfegt und in allen nur das Übelste hervorbringt.«
    Die letzten Worte hatte
Bernina gar nicht mehr mitbekommen. Sie dachte an Anselmo und an seine
spanischen Wurzeln. An den Blick, den er damals mit diesem Spanier ausgetauscht
hatte. Und an den Brief in dem Holzkästchen, den eine Frau mit dem Namen
Isabella unterschrieben hatte. Wie weit weg all das auf einmal war. Unendlich
weit. Oder war es doch näher, viel näher?
    »Worüber grübeln Sie,
Kindchen?«
    »Ich weiß nicht.«
Bernina zuckte kurz die Achseln. »Wahrscheinlich über gar nichts.«
    »Das glaube ich Ihnen
nicht.« Er kicherte. »Doch das ist ja allein Ihre Angelegenheit.«
    Sie sagte nichts dazu.
    »Aber lassen wir den
Krieg wenigstens für heute ruhen.« Er strich sich noch einmal über den Bart.
»Nun ja, vielleicht sehe ich wirklich zu schwarz für die Welt. Ich bin eben ein
alter Knochen. Und ich benenne die Dinge, wie sie sind. Stellen Sie sich vor,
wir leben im Jahr des Herrn 1641. Sagen Sie mir: Wie alt sind Sie?«
    »Ich bin 23.«
    »Hi, hi, hi. Da habe ich
ja gut geschätzt.« Er stand auf, aber bevor er die Küche verließ, drehte er
sich noch einmal zu ihr herum. »Nehmen Sie mir meine Neugier nicht übel.«
    »Das tue ich nicht.«
    »Sie sind so alt wie
dieser Krieg, und ich versichere Ihnen: Wenn Sie mein Alter erreichen und ich
mich schon längst im Paradies ausruhe, dann wird der Krieg noch immer
herrschen.«
    »Noch eines, bitte«,
sagte Bernina rasch.
    »Ja?«
    »Ich
bin kein Kindchen. Ich habe einen Namen.« Schroffer als beabsichtigt war ihr
das über die Lippen gerutscht.
    »Hi, hi, hi.« Meister
Schwarzmaul schien wegen ihrer Bemerkung nicht verärgert zu sein. »Was Sie
nicht sagen, Kind…« Er brachte sogar ein Lächeln zustande. »Ich meine
natürlich: Bernina.«
    »Vielen Dank.«
    »Eine angenehme
Nachtruhe wünsche ich.«
    Damit ließ er sie
allein, und sie begann den Tisch abzuräumen. Ein prüfender Blick genügte. Es
war ein größeres Stück Brot, das fehlte. Mit einem schmalen Lächeln musste sie
an Pierres flinke Bewegung denken, ehe er sich in das Zimmer im oberen Stock
zurückgezogen hatte, das er seit dem Verschwinden der anderen beiden Gesellen
allein bewohnte.
    Ein Junge in seinem
Alter hat eben Hunger, sagte sie sich mit nachsichtigem Lächeln und erinnerte
sich auch noch an die eine oder andere Birne, die plötzlich nicht mehr da
gewesen war, wo sie sie hingelegt hatte. Aber in Wirklichkeit war sie in
Gedanken schon wieder bei Meister Schwarzmaul. Ein verbitterter Mann, ohne
Zweifel. Aber auch ein Mann, in dem bestimmt viel mehr Gutes versteckt war, als
er nach außen hin von sich preisgab.
    In der Nacht wirkten die
Gespräche noch nach, die Gedanken des Tages, und im Traum sah Bernina das
Gesicht des jungen spanischen Soldaten, den Anselmo kannte, auf einmal dicht
vor sich. Sie streckte die Hand nach ihm aus, und in dem Moment, als sie seine
Wange berührte, war sie wach, hellwach.
    Aufrecht saß sie auf
ihrem Lager aus Stroh, eine ganze Weile, und in ihren Gedanken rief sie sich
die Bilder des Traums zurück. Dieser Soldat. Sie hatte sich bereits einmal
gefragt, ob sie ihn wiedererkennen würde. Es war nie leicht gewesen, diese
Männer zu unterscheiden, aber dennoch war Bernina sich sicher, dass sie ihn
seit jenem Moment während des Kirchfestes nicht mehr gesehen hatte. So hatte er
auch nicht zu den fünf Reitern gehört, die sie im Hof überrascht und nach
Teichdorf verschleppt hatten. Auch nicht zu den Verfolgern, als ihr die Flucht
aus dem Turm gelungen war, oder zu jenen Männern, die Nils Norby getötet
hatten.
    Würdest du ihn wiedererkennen?,
fragte sie sich abermals.
    Der Traum hatte sie
aufgewühlt, und es fiel ihr schwer, einfach wieder in den Schlaf
hinüberzugleiten. Mit dem geheimnisvollen Soldaten kehrten plötzlich auch die
Bilder des

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