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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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wahrlich keine schönen Erinnerungen hatte. Aber die offenbar
unter ihrer Haut brannten, die sich dagegen sperrten, einfach abgeschüttelt zu
werden.
    Wie lange Bernina daran
feilte, hätte sie nicht sagen können, aber als sie ihren gebeugten Rücken streckte
und aufblickte, schien fast der ganze Nachmittag verstrichen zu sein. Erst
jetzt wurde ihr bewusst, dass Schwarzmaul und Pierre dicht hinter ihr standen
und mit aufmerksamen Blicken das Ergebnis ihrer Arbeit betrachteten.
    Bernina rieb sich die
ermüdeten Augen. »Was ist los?«, fragte sie. »Stimmt irgendetwas nicht?«
    Schwarzmaul runzelte die
Stirn. »Hhm.«
    Das Gold schimmerte vor
Bernina auf. Sie betrachtete die beiden Ornamente, die sich auf der dünnen,
wertvollen Metallschicht abwechselten. »Was ist los?«, forderte sie erneut
einen Kommentar.
    Aber alles, was der
Meister sagte, war: »Mach dich wieder an die Arbeit.« Damit war nicht sie,
sondern Pierre gemeint, der dem Befehl mit der üblichen Hast nachkam. Bernina
und ihre Leistung wurden hingegen mit keiner einzigen Bemerkung bedacht.
    Unschlüssig hob sie die
Schultern, dann schüttete sie den feinen, vom Ledertuch aufgefangenen Goldstaub
in die dafür vorgesehene Schale.
    Erst während des
Abendessens richtete Schwarzmaul das Wort wieder an Bernina. »Erstaunlich.«
    Mehr sagte er nicht.
Aber ihr war sofort klar, worum es ging.
    Sie wartete darauf, dass
er fortfuhr.
    »Bernina, weshalb haben
Sie gerade diese Ornamente gewählt?«
    »Hat Ihnen das Ergebnis
nicht gefallen?«
    »Doch, das hat es. Sogar
sehr. Vor allem wenn man bedenkt, dass Sie eine Anfängerin sind. In Ihnen
scheint Talent zu schlummern. Vergessen Sie nie: Wir Goldschmiede sind die
Einzigen, denen es gelingt, die Grenze zwischen Handwerk und Kunst zu
überwinden. Aber was mich interessiert: Wie kamen Sie auf genau diese Symbole?«
    »Sie wünschten etwas mit
Blumen.«
    »In der Tat, das war
mein Wunsch. Doch warum musste es ausgerechnet diese Blume sein?« Er musterte
sie. Neugier war ihm anzusehen, zum ersten Mal seit Bernina ihn kannte.
»Zugegeben, Bernina: Eine Rose an sich ist nichts Außergewöhnliches. Diese Rose
jedoch … Der Schwung ihrer Blätter, die Art, in der sie sich nach oben reckt,
sehr spitz zulaufend, fast wie eine Stichwaffe.«
    »Was ist daran so
auffällig?«, wollte Bernina mit zurückhaltender Stimme wissen.
    »Vor
Kurzem stellten Sie Fragen über spanische Soldaten.« Ein Grinsen umspielte
seine Mundwinkel. »Und nun zaubern Sie die Alvarado-Rose auf Gold. Nicht in
Vollendung, aber doch auffallend geschickt. Hi, hi, hi. Woher ist Ihnen diese
Rose vertraut? Sie ist einzigartig, ein wunderbares Symbol. Ich würde sie
jederzeit wiedererkennen.«
    Bernina lehnte sich auf
der Sitzbank zurück, bis ihr Rücken die Wand berührte. »Alvarado-Rose?«
    »Ja, ein Symbol, das mir
früher schon begegnet ist. Das Wappen einer mysteriösen Familie. Alvarados
haben ihre Finger immer in allen möglichen dunklen Geschäften gehabt. Sie haben
das Kriegshandwerk nicht erfunden, aber ihre Waffen kämpften in vielen
Schlachten. Alvarados waren Krieger, allerdings auch Geldbeschaffer, Spione,
Berater von etlichen bedeutenden Herrschern. Unter Führung der Alvarados
entstand eine Art Geheimbund, ein echtes Netz, das durch Verbrechen gesponnen
wurde.«
    »Den
Namen Alvarado habe ich nie zuvor gehört«, erwiderte Bernina, nachdem sie sich
etwas Zeit gelassen hatte. »Die Rose jedoch, die sah ich in meinem Heimatdorf.«
    »Bei den spanischen
Soldaten, die Sie erwähnten, nehme ich an.«
    »Richtig.«
    »Dann sollten Sie
erleichtert sein, Bernina, dass Sie weit weg von dort sind. Selbst wenn
Braquewehr im Moment auch nicht viel Sicherheit verspricht. Der Name Alvarado
hat einen bösen Klang. Man sagt von dieser Familie, sie stehe mit dem Teufel im
Bunde.«
    Die Worte schwebten eine
ganze Weile durch den Raum, ohne dass Bernina etwas darauf erwiderte.
Schließlich wandte sich der Goldschmied an Pierre. »Mir ist aufgefallen, dass
du etwas kränklich bist, Junge. Leg dich hin, deck dich warm zu. Vielleicht
kann ein guter Schlaf die Erkältung vertreiben.«
    Wie immer tat Pierre
sofort, was von ihm verlangt wurde. Mit einem angedeuteten Nicken zog er sich
zurück.
    »Auch für mich wird es
Zeit«, sagte Schwarzmaul. »Obwohl wir unser Gespräch ja noch gar nicht beendet
hatten.«
    Bernina sah ihn an, in
Gedanken noch bei dem Namen Alvarado. »Noch nicht beendet?«
    »Nein, Sie haben mir ja
noch gar nichts zu dem zweiten Symbol

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