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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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stolze Goldschmiedekunst
beheimatet ist. Was sich im Übrigen als richtig herausstellte. Ich fand zurück
zu meiner Arbeit. Sie ist schließlich das Einzige, was mir geblieben ist.«
    »Sie scheinen im ganzen
Elsass einen äußerst guten Namen zu haben.« Bernina sah ihn an. »Die Leute
kommen von weither, um Sie zu beauftragen.«
    »Meinen guten Namen habe
ich mitgebracht.« Er nickte. »Ja, und er hat sich schnell herumgesprochen. Aber
auch diese Gegend, so versteckt sie liegen mag, hat Gutes zu bieten. Hier haben
sich die Kulturen gemischt, hier gedeihen viele fruchtbare Gedanken, hier findet
man viel Wissen. Jenseits des Rheins liegt schon Freiburg mit dieser
wunderbaren Universität. Auch Basel, das Tor nach Italien, ist nicht fern. Und
noch näher ist Schlettstadt mit seiner bekannten Bibliothek und der
Lateinschule. Wahrlich ein schönes Stück Erde. Nur der Krieg, der schert sich
um all das nicht im Geringsten, der wütet immer weiter und spürt jeden von uns
auf, egal, wohin man sich flüchtet. Den Elsässern ist es recht gut gelungen,
sich aus diesem Wahnsinn herauszuhalten. Tja. Bisher.«
    »Vielleicht herrscht
eines Tages ja doch endlich Frieden.«
    »Kindchen, Sie sind
lustig.« Schwarzmaul legte seinen Kopf zur Seite. »Die Hoffnung auf Frieden,
die gibt es doch schon längst nicht mehr. Die Menschen hoffen nicht mehr.
Jedenfalls nicht wie früher. Sie sind abgestumpft und ergeben, sie warten
einfach nur auf ein Verrinnen des Blutvergießens. Der Frieden wird den Krieg
nicht mehr besiegen. Und so können wir bloß noch beten, dass dieser Meister
aller Meister, dieser Krieg der Kriege, eines Tages an Altersschwäche eingeht,
an sich selbst erstickt.«
    Während Schwarzmaul
sprach, hatte sich Pierre lautlos von der Bank erhoben. Mit gesenktem Blick
stahl er sich davon, wie immer eigentlich, doch Bernina war die blitzschnelle
Bewegung seiner Hand aufgefallen.
    »Wer weiß«, sagte sie
leise zu dem Goldschmied, »vielleicht ist dieser Tag ja doch viel näher, als
wir alle vermuten.«
    »Oder auch noch in viel
weiterer Ferne, als Sie es sich ausmalen können. Was sind schon fünf Jahre?
Oder zehn oder 20?«
    »Es bringt nichts, nur
das Schlechteste zu erwarten«, widersprach Bernina entschieden. »Man kann nicht
immer nur schwarzsehen.«
    »So?« Spöttisch zog er
das Wort in die Länge. »Mittlerweile ist der Krieg sogar hier in Braquewehr
angekommen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie haben es doch
gehört, Kindchen. Soldaten wurden gesehen, fremde Männer, die sich irgendwo in
der Nähe verstecken sollen. Weiß der Teufel mit welch abscheulichen Absichten.
Die Stadt zittert schon vor Angst. Man kann die Furcht an jeder Ecke riechen.«
    »Was denken Sie: Zu wem
gehören diese Soldaten?«
    »Schwer zu sagen«,
seufzte Schwarzmaul auf. »Heutzutage gibt es etliche marodierende Truppen und
Banden, die mal für die kaiserliche Seite, mal für die Protestanten in die
Schlacht ziehen. Banden aus aller Herren Länder.«
    »In dem Dorf, aus dem
ich komme«, hakte Bernina ein, »machte sich plötzlich eine spanische Einheit
breit. Eigentlich wurde sie geholt, um den Ort gegen die Franzosen zu
verteidigen. Aber diesen Männer geht es meiner Meinung nach bloß um eines: die
anständigen, wehrlosen Bürger auszupressen.« Ihre Stimme wurde härter. »Für
mich sind das nichts anderes als Diebe und Verbrecher.«
    »Und damit haben Sie
recht«, bemerkte der Goldschmied trocken.
    »Wie kommt es, dass
gerade Spanier in meiner Gegend unterwegs sind? Wissen Sie das?«
    »Ach, das ist schon seit
Jahrzehnten so. Überall, wo die Klingen gekreuzt werden, sind ein paar
spanische dabei.« Er fuhr sich durch den fransigen Bart. »Vor langer Zeit
teilte Kaiser Karl V. seine Besitzungen auf zwischen seinem Bruder, Kaiser
Ferdinand I., und seinem Sohn, König Philipp II. von Spanien. So fielen die
Niederlande in spanische Hand.«
    »Was haben die
Niederlande damit zu tun?«
    »Nur Geduld, dazu komme
ich ja gerade. Also, in den Niederlanden gab es fortan einen Statthalter, der
das spanische Königshaus vertrat. Kein Wunder, dass es zu vielen Spannungen
kam, vor allem aus religiösen Gründen. Der Statthalter war katholisch, genau
wie sein König im fernen Spanien, und wie überall in den Ländern kam es auch in
den Niederlanden zu Kämpfen zwischen Protestanten und Katholiken, denn die
protestantische Seite sah sich unterdrückt, und sie hatte auch allen Grund
dazu. Man griff zu den Waffen, lehnte sich auf. Der Statthalter des

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